Die geheime Scherl-Debatte

2010 würde der Bildhauer Hanns Scherl 100 Jahre. Mitte März forderte die CDU, ihm eine Ausstellung im Georg-Meistermann-Museum zu widmen. Seither rumort es gewaltig hinter den Kulissen. Auch wegen eines Briefs, in dem Hanns Scherl einer Nazi-Vergangenheit bezichtigt wird, sodass eine Ausstellung seiner Arbeiten im Museum "ein infamer Schlag gegen das Leben und Wirken von Meistermann" sei.

 Unvereinbar? Scherls Bronze vor dem Eingang zum Gerorg-Meistermann-Museum. TV-Foto: Sonja Sünnen

Unvereinbar? Scherls Bronze vor dem Eingang zum Gerorg-Meistermann-Museum. TV-Foto: Sonja Sünnen

Wittlich. Im Lokalteil des TV wurde am 15. März über den CDU-Antrag, der neben vier Ausstellungen von Arbeiten anderer Künstler auch eine Schau von Scherl-Werken im Georg-Meistermann-Museum fordert, berichtet. Am 20. März schreibt Claus Bingemer aus Hannover, Testamentsvollstrecker des Nachlasses Meistermann und Onkel des Wittlicher Kulturamtsleiters Justinus Maria Calleen, an alle Fraktionsvorsitzenden und Albert Klein, CDU, als Vorsitzenden des Meistermann-Förderkreises. Bingemer hat angeblich aus der Presse vom Antrag erfahren und spricht sich deutlich gegen den Ausstellungsplan aus.

"Infamer Schlag gegen Meistermann"

Die fünf Künstler seien ihm nicht geläufig. Doch wisse er: "Der für die Ausstellung vorgeschlagene Bildhauer Hanns Scherl, Oberscharführer der HJ, sieht in der Kunst seine ,zum Fanatismus verpflichtende Mission'." Und weiter: "Ein solcher Mann wäre, abgesehen von seinen im völkischen Stil geschaffenen Kunstwerken, in seiner politischen Ideologie ein infamer Schlag gegen das Leben und Wirken von Meistermann, der sich selbst unter Einsatz seines Lebens gegen den Wahnsinn des Nationalsozialismus' gestellt hat." Quelle dafür muss ein Artikel im Wittlicher Tageblatt vom 12. November 1938 sein. Dort schreibt ein gewisser Peter Kremer unter anderem über einen Werkstattbesuch bei Hanns Scherl. Er nennt ihn Oberscharführer der Hitlerjugend und erwähnt die "zum Fanatismus verpflichtende Mission" von dessen Kunst.

Am 23. März hat Albert Klein einen Antwortbrief nach Hannover geschickt. Er verweist darauf, dass es Altbürgermeister Matthias Joseph Mehs und Hanns Scherl zu verdanken sei, dass Meistermann den Auftrag für die Rathausfenster erhalten habe, wie man im vom Kulturamtsleiter herausgegebenen Katalog nachlesen könne. "Es ist nicht vorstellbar, dass Dr. Justinus Maria Calleen in einem von ihm herausgegebenen Werk ausgerechnet einen ,alten Nazi', so wie Scherl Ihnen gegenüber charakterisiert wurde, zu Wort kommen lassen würde", schreibt Klein. Er verweist auch auf Hanns Scherls Auszeichnungen, und dass er "außerordentlich" bedaure, "dass man Sie als Außenstehenden mit Halb- und Unwahrheiten gegen Johannes Scherl und seine Kunst aufgebracht hat".

"Eine integre Persönlichkeit"

Auch der Bürgermeister erhält Post. Unter anderem schreibt ihm aus Trier Dr. Jürgen Wichmann, Akademiedirektor im Ruhestand, der beide Künstler persönlich kannte und mit ihnen gearbeitet hat. Er sei als Scherl-Kenner zum einen überzeugt, der Bildhauer sei "eine integre Persönlichkeit" zum anderen habe er Georg Meistermann selbst niemals "ein einziges negatives Wort über den Kollegen" sprechen hören. Er formuliert: "Jetzt aber den einen Verstorbenen gegen den anderen Verstorbenen auszuspielen, bezeichne ich als absolut unfair, ja eigentlich übel!" Weitere Post hat der Bürgermeister von den Grünen erhalten. Sie fordern in der nächsten Ratssitzung öffentlich über Inhalte und Aufgaben des Meistermann-Museums zu debattieren. In ihrem Antrag heißt es, Hanns Scherl sei nicht "ein Verirrter jener Zeit" gewesen, sondern habe sich "mit klarem Wissen und Verstand der Sache des Nationalsozialismus verschrieben". Die Fraktion will das belegen können. Unabhängig davon hat man sich angeblich "hinter den Kulissen" darauf geeinigt, statt der Ausstellung eine Führung zu Scherls öffentlichen Arbeiten anzubieten.

Wie geht es weiter? Darüber informiert auf TV-Nachfrage die Stadtverwaltung, siehe Artikel auf Seite 8.

Meinung

Geklüngel und Stellvertreter

Es scheint unglaublich, welche massiven Vorwürfe gegen einen Verstorbenen da in den Raum gestellt werden, allein die Basis ist bislang zweifelhaft. Der Zeitungsartikel aus der Hitler-Zeit nebst belegbaren Auftragsarbeiten allein ist keineswegs annähernd hinreichend einen "Nazi-Vorwurf" zu belegen, der Persönlichkeit und Arbeit Scherls betrifft. Die bisherige "Pseudo-Geheimhaltung" gibt dem Vorwurf eine monströse Macht. Gefragt ist eine offene, faire Auseinandersetzung mit Fachleuten, zumal Scherl-Kenner die Vorwürfe als perfide Meinungsmache beurteilen, die nicht haltbar sei. Momentan kann man nur von einer unwürdigen Hinterzimmerveranstaltung sprechen, die nur einer bösen Gerüchteküche dient. Die scheint aus Wittlich selbst angeheizt worden zu sein. Unbedingt sollte sich der Kulturamtsleiter zu Wort melden und deutlich Stellung beziehen. Das Thema kunsthistorisch in einen Rahmen zu stellen, erhellend zu beleuchten, wäre eine dankbare, aufklärende Aufgabe. Denn das Gemunkel gehört aufgeklärt, bevor beide, Scherl und Meistermann, noch mehr Schaden nehmen und nicht zuletzt auch die Wittlicher Kulturpolitik. Die beiden Verstorbenen, deren Werke schon seit deren Lebzeiten einträchtig in der St. Markus-Kirche stehen, werden zu Stellvertretern einer Ausstellungs-Konzept-Debatte degradiert. Sollen sich Mehs und auch Meistermann so in Scherl getäuscht haben? Man kann es nicht glauben, aber da ist Wissen gefragt. Der Grünen Antrag greift zu kurz: Die Vorwürfe gegen Scherl müssen ebenfalls thematisiert und geklärt werden: öffentlich und sachkundig und nicht nur im Kulturausschuss. s.suennen@volksfreund.deZur Person Der Wittlicher Hanns Scherl (1910 bis 2001) ist durch seine öffentlichen Arbeiten bekannt: etwa den Stefan-Andres-Brunnen in Schweich, den Bärenbrunnen in Bernkastel-Kues, den Bierbrunnen in Bitburg oder das Wittlicher Ehrenmal. Auch finden sich Scherl-Werke in vielen Kirchen. Er erhielt unter anderem das Bundesverdienstkreuz, den Peter-Wust-Preis und die Ehrenplakette der Stadt Wittlich.

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