Die Jahrhundert-Frau

Mückeln/Wallscheid/Hontheim · Am 3. Dezember feierte Mathilde Schneider ihren 100. Geburtstag. Die längste Zeit ihres Lebens verbrachte sie in Wallscheid im Landkreis Bernkastel-Wittlich. Als Kriegerwitwe zog sie vier Kinder groß, kämpfte sich durch Armut und erlebte eine enge Gemeinschaft unter Nachbarn und innerhalb der Familie.

Mückeln/Wallscheid/Hontheim. Seit 100 Jahren lebt Mathilde Schneider in der Eifel. Für sie war die Region der Mittelpunkt der Welt, in ihrem Leben war es die Familie: Ihre vier Kinder, von denen sie inzwischen drei überlebt hat, und ihr Mann, auf dessen Rückkehr aus dem Krieg sie immer gewartet hat. Zu ihrem Geburtstag gratulierten acht Enkel, zwölf Urenkel und drei Ururenkel, Tochter Gisela und Schwiegersohn Alfred. Auch zwei ihrer Schwestern konnten bei ihr sein.Ihr Mann fiel im Krieg

Die große Familie verbucht die alte Dame unter den besten Seiten, die ihr das Leben schenkte. Von den schlechten blieb sie nicht verschont: Ihr größtes Unglück kam mit dem Zweiten Weltkrieg. In Stalingrad verlor sie ihren Mann. Da war sie schwanger. Mathilde Schneider war damals 30. Neun Jahre zuvor hatte sie ihren Mann auf Gut Dierfeld, einem Hof bei Wallscheid, kennengelernt. Er arbeitete als Schuster, sie in der Küche. 1934 heirateten sie und zogen nach Wallscheid zu Mathildes Schwiegereltern. Nachdem ihr Mann nicht aus dem Krieg heimkehrte, war Mathilde gezwungen, ihn für tot erklären zu lassen. Ein schwerer Schritt. Aber nur so erhielt sie die Darlehen, um Anfang der 50er Jahre ein Häuschen bauen zu können. Mit Hilfe der Nachbarn schaffte sie es. Den Lebensunterhalt für ihre Familie erwirtschaftete Mathilde Schneider mit zwei Kühen, zwei Schweinen und ein paar Hühnern. Sie baute Kartoffeln, Rüben und Getreide an. Nur sonntags gönnte sie sich freie Zeit. Dann besuchte sie den Gottesdienst und unternahm mit den Kindern Wanderungen.Die Tochter des Knochenflickers

Ihr Vater Johann war als eine Art Heilpraktiker über Mückeln hinaus als "de Knochenflicker" oder "de Pies" bekannt. Hedwig Otten, Mathildes 93-jährige Schwester, erinnert sich, dass er weit und breit das erste Auto besaß: einen Ford mit Seitenteilen aus Stoff zum Zuknöpfen und einer Kurbel zum Anlassen des Motors.
Motoren hatten es Mathilde angetan. Außer dem Traktor fuhr sie Moped - mit Fliegerbrille und Lederkappe. Ihre Schwester sei sehr lebenslustig gewesen, erzählt Hedwig. "Sie konnte singen wie eine Nachtigall."
Heute spricht Mathilde Schneider selten. Nur an guten Tagen erkennt sie ihre Familie. Früher war sie deren Mittelpunkt. "Sie hat für ihre Kinder und Enkelkinder gelebt", erzählt ihre Tochter Gisela. "Wenn wir versorgt waren, war sie zufrieden."

"Dafür, wie sie das Leben mit vier Kindern alleine gemeistert hat und immer hilfsbereit war, wird sie bewundert und ist im Dorf sehr angesehen", sagt Schwiegersohn Alfred Rodermund. "Sie war eine starke Frau."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort