Die neue Heimat

Hunsrück · Der Hunsrück im Jahr 1840. Die Menschen leben in bitterer Armut. Missernten, Hungersnöte und Behördenwillkür prägen ihr Leben. Viele setzen ihre ganze Hoffnung auf ein neues Leben in Brasilien. Gehen oder bleiben, das ist die schicksalhafte Frage. So auch für zwei Hunsrücker Brüder im Dorf Schabbach. Das ist in aller Kürze das Thema des neuen Filmprojekts des "Heimat"-Regisseurs Edgar Reitz.

Es soll ein "umfassendes Bild der damaligen Zeit, ihrer Lebensumstände, der Menschen und ihrer Arbeitswelt" zeigen, schreibt der Regisseur in einem offenen Brief an seine Fangemeinde. Der Zuschauer solle die Entwicklung miterleben, an deren Ende es zu einem "Massenexodus aus dem Hunsrück nach Brasilien kommt". Im April beginnen die Dreharbeiten. Die ersten Castings fanden bereits statt.

Der gebürtige Morbacher schrieb mit seiner dreiteiligen Mammutsaga Heimat Filmgeschichte. Darin schildert er 100 Jahre deutsche Geschichte am Beispiel der Hunsrücker Familie Simon in Schabbach im Hunsrück. Wie wichtig die Filmreihe ist, dazu sagt Reitz selbst: "Jeder Hunsrücker sagt heute: Ich komme daher, wo Heimat gedreht wurde. Und er ist stolz drauf."
Film spielt wieder in Schabbach



Der neue Kinofilm soll kein vierter Teil der Saga werden. Darauf legt der 79-Jährige großen Wert. Doch wie der Arbeitstitel "Die andere Heimat" schon sagt, wird er eng mit ihr verknüpft sein. Dafür sorgt schon die Tatsache, dass erneut die Schmiedefamilie Simon im Fokus des filmischen Geschehens steht. Das Ganze spielt wieder im fiktiven Hunsrückort Schabbach.
Bis April soll der 240-Einwohner-Ort Gehlweiler im Rhein-Hunsrück-Kreis in ein "komplettes Dorf im Stil des 19. Jahrhunderts" verwandelt werden - inklusive Bauernhöfen, Schule, Dorfbrunnen, Kirche und Friedhof. So schreibt es Reitz, der großen Wert auf Detailtreue legt, in einem Brief an seine Fangemeinde. Auf den Feldern wächst das Getreide von damals, Kühe bestimmter Rassen ziehen den Pflug, und die Darsteller sind wie anno 1840 gekleidet, so seine Vorstellung. Gesucht werden dafür "Brigaden an Näherinnen und Handwerkern", heißt es in dem Brief weiter - und eine große Zahl an Laiendarstellern, die bei Reitz stets eine wichtige Rolle spielen. Im Teil eins von Heimat treten inklusive Komparsen 5000 Hobbyschauspieler auf.
Wer einen kleinen Sprechpart in "Die andere Heimat" bekommen will, muss Dialekt sprechen können. "Im Himmel schwätze se Hunsrücker Platt", heißt es in der Schlussszene von Heimat 1. Ob das tatsächlich so ist, wissen wir nicht. Tatsache ist allerdings, dass es bis heute in Brasilien gesprochen wird - dank der zahlreichen Auswanderer, die sich die Sprache ihrer Vorväter bis heute bewahrt haben.
Die Heimat verlassen oder bleiben - das ist ein Hauptthema, das sich durch das Werk von Reitz zieht. Der erste Teil von Heimat beginnt mit der Rückkehr von Paul Simon aus dem Ersten Weltkrieg. Dessen erste Liebe Apollonia verschwindet plötzlich mit einem Zug aus seinem Leben. So wie er später aus dem Leben seiner Familie, indem er, angeblich um ein Bier zu trinken, einfach der Straße folgt, die aus dem Dorf herausführt. Es dauert fast ein Jahrzehnt, bis er ein Lebenszeichen von sich gibt, ein weiteres, bis er zurückkehrt - als reicher Unternehmer aus Amerika.
Gehen oder bleiben, das ist auch ein persönliches Leitmotiv von Edgar Reitz. Er, der den Hunsrück in jungen Jahren verlassen hat, um in München Theaterwissenschaften zu studieren, setzte ihm mit seinem filmischen Großprojekt ein Denkmal. Und in gewisser Weise kehrt der 79-jährige Wahl-Münchener heute zu seinen Wurzeln zurück. Nicht nur mit dem neuen Film. Seiner Filmstiftung hat er sein Elternhaus in Morbach vermacht. Dort soll mit Unterstützung der Gemeinde Morbach ein "Café Heimat" entstehen, das an das Werk des großen Regisseurs erinnern soll.
Ilse Rosenschild

Laiendarsteller gesucht: Wer Interesse an einer kleinen Rolle in "Die andere Heimat" hat, kann sich per E-Mail wenden an Helga Hammen unter helga_ hammen@web.de

Die Trilogie: Mit der Ausstrahlung von Heimat: Eine deutsche Chronik, dem ersten Teil der Trilogie, beginnt 1984 über Nacht die Erfolgsgeschichte von Edgar Reitz. Neun Millionen deutsche Zuschauer sitzen pro Folge vor dem Fernseher und nehmen so Anteil am Leben der Maria Simon und ihrer Familie in Schabbach. Auch international sorgt der Film für Furore. Reitz erhält für das Werk Auszeichnungen, unter anderem die Goldene Kamera und den Adolf-Grimme-Preis. Die zweite Heimat: Chronik einer Jugend befasst sich mit der Geschichte des Komponisten Hermann Simon nach dessen Abschied von Schabbach und seiner Liebe zur Cellistin Clarissa Lichtblau. Heimat 3: Chronik einer Zeitenwende setzt die Geschichte von Hermann und Clarissa vor dem Hintergrund der deutschen Wiedervereinigung fort. iro Infos: www.heimat123.de

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