Die Rote Karte

Beim Viertelfinale der Weltmeisterschaft 1966 im Londoner Wembley-Stadion war Rudolf Kreitlein der Schiedsrichter. Er sprach einen Platzverweis gegen den argentinischen Kapitän Antonio Rattin aus. Dieser weigerte sich allerdings, das Spielfeld zu verlassen.



Das Spiel musste unterbrochen werden. Das ärgerte den Schiedsrichter sehr. Auf der Rückfahrt vom Stadion nach Hause musste er vor einer Verkehrsampel, die auf Gelb und dann auf Rot geschaltet worden ist, stehen bleiben. Das brachte ihn auf eine geniale Idee: die Gelbe und die Rote Karte.

Schon vier Jahre später im Jahr 1970 führte die FIFA, die Weltorganisation des Fußballs, diese Idee allgemein ein. Seitdem wird jeder, der Spielregeln verletzt, mit einer Gelben Karte bestraft - das ist eine Verwarnung - oder mit der Roten Karte, dem Platzverweis.

Wir Christen haben auch unsere "Spielregeln": die zehn Gebote. Das ist eines der klarsten und kompaktesten Spielregelsysteme dieser Erde.

Nur: Es gibt keinen Schiedsrichter, der die gelbe oder die rote Karte zückt, wenn wir sündigen. Der Schiedsrichter muss in uns selber sein. Es ist unser Gewissen. Da müssten wir uns dann selbst gelegentlich die gelbe oder die rote Karte zeigen, wenn wir gegen die Zehn Gebote verstoßen.

Viele menschliche Systeme haben einen Schiedsrichter, der verwarnen oder vom Platz stellen kann. Beispielsweise unser Verkehrssystem.

Falschparken ergibt eine Verwarnung: die Gelbe Karte. Wer mit Alkohol am Steuer erwischt wird, der verliert seinen Führerschein: Platzverweis, die Rote Karte.

Auch andere menschliche Systeme brauchen neue Spielregeln und einen Schiedsrichter, z. B. die Finanzmärkte oder unser Ökosystem, um die weitere Erd erwärmung zu verhindern, wie man es jetzt bei der Klimakonferenz in Kopenhagen versucht. Auch hier müsste es Institutionen geben, die die Gelbe und Rote Karte zeigen.

Alle diese Spielregelsysteme sind notwendig. Aber sie ersetzen nicht die Eigenverantwortung, selbst zu wissen, was gut und was böse ist: der Schiedsrichter in uns selbst.

Manfred Sliwka, Ökonom, Niederscheidweiler noj/gek

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