Die Säubrenner und ihre Wettlia Steckelcha

Wittlich · Dass in Wittlich die Mundart verschwindet, in Bitburg hingegen aktiv mit ihr geworben wird - zu dieser Tatsache melden sich TV-Leser zu Wort. Darunter sogenannte Wittlicher Originale, aber auch ein Behördenleiter. Der TV dokumentiert die Reaktionen.

Wittlich. "Mir schwäätzen Platt…": Das gilt offensichtlich nicht nur für die Bitburger, die mit einem solchen Aufkleber auf ihren Geschäften für ihre Zweisprachigkeit werben. In Wittlich gibt es diese Aufkleber nicht, auch weil kaum einer noch den Dialekt der Säubrenner sprechen kann (der TV berichtete).
Aber es gibt eine Institution da ist es anders. Das sagt Stephan Reuter, Weinbauamtsleiter in der Friedrichstraße Wittlich. Er teilt mit: "Mit Interesse habe ich heute Ihren Artikel in der Wittlicher Ausgabe gelesen. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stammen fast alle aus dem Sprachraum des Moselfränkischen. Daher gehört das Platt der Mosel bei uns - einschließlich der Leitung des Weinbauamtes - selbstverständlich zum Service und ist ein wichtiger Faktor im täglichen Umgang mit unseren Kunden und Partnern. Unser Ehrenamt dürfte wohl zu nahezu 100 Prozent Platt schwätzen."
Wer sich nicht ins Weinbauamt (Haus der Landwirtschaft) traut, kann theoretisch in Ruhe daheim Platt genießen. Unter zwei Voraussetzungen: Er hat einen Plattenspieler und die Scheibe: "Wettlia Steckelcha - Gedichte, Anekdoten in Wittlicher Mundart." Die Rarität ist gepresst worden, als Karl-Adolf Orth noch Bürgermeister war, also zwischen 1970 und 1977. Orths schreibt auf der Hülle: "Mit dieser Schallplatte will die Stadt Wittlich einen Beitrag leisten zur Erhaltung dieses Kulturgutes." Kurios: Auf diese Platte hingewiesen hat den TV ausgerechnet ein Bernkasteler ("Das Beste an Bernkastel ist der Bus nach Wittlich", O-Ton des kleinen "Birjamaistas" Albert Klein), der allerdings in Osann geboren ist. Der Entdecker der Platte will für die Säubrenner anonym bleiben und schreibt: "Vor etwa 30 Jahren hat Wittlich mal eine Schallplatte herausgebracht mit dem Titel Wettlia Steckelcha. Da ging es um ähn und hät un uusen und eieren und dergleichen mehr in richtigem Wettlia Dialekt." Er selbst könne auch zumindest Osanner Platt perfekt, verstehe aber auch Wettlia. Und: "Falls Interesse besteht, kann ich jo moal im Schank kauken, ob eich die Platt nach fennen, dann kinnta se ger krien." Gesucht, gefunden, dankeschön!

Eine Schallplatte braucht dagegen Rita Neukirch, Wittlich, nicht. Sie spricht und schreibt (!) Platt, hat ihre Reaktion auf den Artikel aber auch dankeswerterweise in übersetzter Form zu Papier gebracht: "Viele Merci fia dä gooden Offsatz en da Zeidung. Iha hott mia un viele anare aale Wettlier aus da Siel geredt. Schood fia oos Mottasprooch datt se so langsam nimmi geredt un aalem viaron ooch nimmi vastaanen gett. Eisch sain en da Feldstrooß gruuß gänn un do honn eisch nooch Platt geschwädzt mem Äschats Pitta un saina Fraa, mem Roths Kathrina, met däa aala Frau Föhr vom Zigarettelädschie un met däa aala Frau Freis vom Lädschie opb da Äägk on da Träarastrooß. Bei da Frau Freis guv et vom ängeläschte Hiering, iwa Gutsja, Kernsääf bes zo de Schoohriemen aales. Eisch honn nooch et Pleina Griet, Prachts Emma un saine Brooda Rudi, Brands Mia vom Gemeeselooden un Nejeles Sanni kannt. Die schien Wäada en Wettlier Platt sain fia meisch: (\'dm Kasparis Addi sain-) Fluudamesch, en Biebessisgroßist, en Schajutschie, Hegklabugkel, Maulschäarschie, Jessesmariaunjusep, majusebetta, en klän Bodtel, Deifängker un äntlisch geddet nooch viel mieh."
Die Übersetzung: "Vielen Dank für den guten Aufsatz in der Zeitung. Sie haben mir und vielen anderen alten Wittlichern aus der Seele gesprochen. Schade für unsere Muttersprache, dass sie kaum noch gesprochen und allem voran auch nicht mehr verstanden wird. Ich bin in der Feldstraße aufgewachsen, und da habe ich noch Platt gesprochen mit Peter Eichhorn und seiner Frau, mit Katharina Roth, mit der alten Frau Föhr aus dem Zigarettenladen und mit der alten Frau Freis vom Lädchen an der Ecke zur Trierer Straße. Bei Frau Freis gab\'s vom eingelegten Hering über Süßigkeiten, Kernseife bis zu den Schnürsenkeln alles. Ich habe noch Pleiner Griet, Emma Pracht und ihren Bruder Rudi, Mia Brand und Sanni Negele gekannt. Die schönen Worte in Wittlicher Platt sind für mich kaum zu übersetzen: Fluudamesch ist ein flatterhaftes Wesen, eine Frau, die überall und nirgens ist, Bibessisgroßist ist ein Kleinigkeitskrämer, Schajutschie ist ein Schmuckkästchen, auf dem Hegklabugkel war man, wenn man auf dem Rücken eines anderen getragen wurde, Maulschäarschie nannte man die Menge, die in den Mund passte, en klän Bodtel war ein kleines Mädchen und ein Deifängker war ein Teufelskerl. Nochmals danke für den Artikel und in der Hoffnung, dass es aufwärts geht mit unserer Muttersprache."

Und wenn\'s um Wittlicher Platt geht, darf naturgemäß auch diese Stimme nicht fehlen: Adi Kaspari, Wittlich: "Finde Ihren Artikel über das Wittlicher Platt sehr gut. Ja prima, dass Sie das mal angeschrieben haben. Aber es ist ja tatsächlich so, dat de Leit unna fuffzich net platt schwäädsen kinnen, awa de määsden dohnet wienestens vastiehn. Wo Wittlicher Platt noch vorkommt haben Sie ja schon fast ausführlich aufgezählt. Wollte ergänzend mitteilen, dat Weddlia Platt mit verschiedenen Beiträgen auch im Kirmesheftchen vertreten ist. Wittlicher Leut und auch die Brüder Kaspari sind im Kirmesheftchen oft vertreten, denn nur so werden die aal Stegkelcha, die man weiß und geschrieben hat, für immer festgehalten und gehen nicht verloren.
Weiterhin gab es auch mal ein Wittlicher Platt-Treff an jedem ersten Montag im Monat im Gasthaus Schneck, der paar Jahre gut besucht war, aber in den letzten zwei Jahren mangels Teilnehmer leider eingeschlafen ist. Auch Karsten Mathar hatte zwei Jahre im Café am Markt einen Weddlia Platt-Oowend veranstaltet. Ein typisches Wittlicher Wort ist für mich: Majusebetda - was oft im Sprachgebrauch erscheint." Er und überhaupt die "Brüder Kaspari" wüssten noch viel über "Weddlia bekannt Leit, wie: Määhse Matti, den wohl bekanntesten Wittlicher, aber auch Weinzsen Stöffelchi, Kiesjes German, Laubachs Hanni, Kranzen Heliatchi un Maahssen Doart, welche alle auf dem Brunnen am Platz an der Lieser verewigt sind.
Aber auch Heckenbachs Benda (früher Weilersiedlung), Brands Klaus (Dichter, Liedermacher und Karnevalist), Kleins Utti (Friseur in der Burgstraße), Mohrs Äschat (Café Mohr, Pariserplatz), Pleina Griet (Bauersfrau aus der Feldstraße), Bohlens Katt (früher Café und Bäckerei Burgstraße), Krags Kätt (Bergstraße), Klamesse Memm (Bergweilerweg), Nummer Griet (Viezmühle), Hubertse Lissi (Lebensmittelgeschäft Untere Kordel), schien Lissi (Tiergartenstraße), Nilesse Saijert (früher Neustraße), Ottens Ammi (Untere Kordel) Borma Baldi (Hospital St Wendelini), Elsens Zabo (der langsamste Landwirt in der Schweiz), Plattner Matti (Landwirt in der Unteren Kordel), Erze Werner (kleinwüchsiger Mann früher bei den Stadtwerken), Buarcha Haanes und Tochter Mia, (Gemüseladen in der Triererstraße, jetzt Parkplatz auf der andern Seite von Kranz-Wendel). Und der letzte bekannte Wittlicher war Wintrichs Viktor aus der Himmeroder Straße.
Und noch einer: Der Hetzerather Alfons Spang weist daruf hin, dass er Mundart-CDs herstellt und dass etwa der "Peter Zirbes Kulturkreis einige Tonträger mit Mundart herausgegeben" hat: "Bei der letzten Doppel CD waren auch Beiträge aus Wittlich enthalten mit Renate Petry (Track Nr. 20) und Rita Neukirch (Track Nr 19)."Extra

Für all diejenigen, die dazu beitragen wollen, dass Dialekt wenigstens dokumentiert wird, gibt es im Internet einen Sprachfragebogen vom Landschaftsverband Rheinland. Wer ihn ausfüllen will, muss folgende Seite anwählen: umfragetool.lvr.de/evasys/indexstud.php?typ=html&;user_tan=369CS

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