Die Stimme der Nationen

Wittlich · Ein Zehntel der Menschen, die in Wittlich wohnen, haben ausländische Wurzeln - insgesamt sind es 1988 in der Säubrennerstadt. Damit liegt der Ausländeranteil sogar höher als im Land. Der Beirat für Migration und Integration gibt ihnen seit zweieinhalb Jahren eine Stimme.

Wittlich. Drei Mal ist Siddik Simsek mit einem Mann aus Wittlich ins türkische Konsulat nach Mainz gefahren. Drei Mal: So oft musste der junge Mann, nachdem er einen Einbürgerungsantrag gestellt hatte, in die Landeshauptstadt. Erst dann war alles geregelt, und er konnte seine türkische Staatsangehörigkeit aufgeben und erhielt einen deutschen Ausweis. Weil er aber kein eigenes Auto hatte, brachte Simsek ihn einfach selbst hin. Spritgeld hat er dafür nicht verlangt.
Simsek ist Vorsitzender des Beirats für Migration und Integration. Das Gremium, das aus zehn Mitgliedern besteht, setzt sich für die Migranten in der Stadt Wittlich ein - in der Kommunalpolitik, bei öffentlichen Veranstaltungen, aber auch bei alltäglichen Problemen. "Wenn ich einem Menschen helfen kann", sagt Simsek, "fühle ich mich gut." Seit 1980 lebt Simsek mit seiner Familie in Wittlich. Für seine doppelte Staatsangehörigkeit - er ist Deutscher und Türke - habe er selbst zwei Jahre lang kämpfen müssen, erzählt er. Der in der interkulturellen Arbeit erfahrene Simsek will den Migrationsbeirat gerne als "eine Ingetrationsbrücke für unsere Gesellschaft" verstehen. "Wir lernen voneinander miteinander zu leben", erklärt er.
Als Vorsitzender des Beirats nimmt Simsek am städtischen Kulturausschuss teil. Wo immer es um das Migrationsthema geht, kann er bei Entscheidungen seine Meinung äußern. Als Beispiel nennt er die Stadtbücherei: Sollen da neue Bücher angeschafft werden, dann erklärt Simsek dem Rat, dass es für Migranten mehr Vorteile hat, wenn diese zweisprachig sind. Mit der Zusammenarbeit dort sei er zufrieden, sagt Simsek.
Sprache ist für Simsek sowieso ein großes Thema. "Sie ist der Schlüssel zur Integration", erklärt er. Deshalb bietet Simsek in Wittlich kostenlose Sprachkurse an. Für September plant er gerade wieder einen neuen Kurs.
Die zehn Beiratsmitglieder kommen mindestens vier Mal im Jahr für ein Treffen zusammen. Die Sitzungstermine legt die Stadt fest. Die hat auch die Schulungsseminare, unter anderem bei der Arbeitsgemeinschaft der Beiräte für Migration und Integration in Rheinland-Pfalz, finanziert. Dort haben sich die Mitglieder für ihre Arbeit gewappnet. Heute engagieren sie sich in vielen Projekten - so beispielsweise seit drei Jahren im Arbeitskreis Integrationspartner Wittlich. Das ist ein Zusammenschluss aus mehreren Institutionen, die Migrationsarbeit machen.
Aber auch Veranstaltungen wie das internationale Kinderfest in Wittlich, die Interkulturelle Woche oder Jugend-Fußballturniere hat der Beirat mitausgerichtet. Simsek erklärt das Ziel dieser Veranstaltungen: "Kinder sind unsere Zukunft, ganz egal, welcher Nationalität sie sind. Integration muss so früh wie möglich anfangen."
Simsek macht aber auch Beratungsstunden. "Wenn jemand ein Problem hat, sei es mit der Sprache, in Erziehungssachen oder wegen der Arbeit, dann kann er mich anrufen", sagt er. Die Stadt stellt dann für das Gespräch einen Raum zur Verfügung. Besonders oft würde er wegen Schulproblemen um Rat gefragt. Da kennt sich Simsek aus: Er hat lange Zeit als Lehrer in Wittlich gearbeitet. "Aber wir helfen auch bei Behördengängen, bei Einbürgerungen, sind Dolmetscher - oder finden jemanden, der die jeweilige Sprache spricht." Verständigungsprobleme gibt es aber nicht immer: Es kommt nämlich auch mal vor, dass Deutsche bei Simsek anrufen. Für die hat er dann auch ein offenes Ohr.
Extra

Der Beirat für Migration und Integration in der Stadt Wittlich wurde im November 2009 per Briefwahl auf fünf Jahre gewählt. Neuwahlen stehen Ende 2014 an. Wahlberechtigt ist jeder mit Migrationshintergrund. Dies legt ein Landesgesetz fest, das im Januar 2009 in Kraft trat und die kommunalen Ausländerbeiräte zu Beiräten für Migration und Integration weiterentwickelte. Beiratsmitglieder sind: Siddik Simsek (Vorsitzender), Andrea Kien (stellvertretende Vorsitzende), Ahmet Altiparmak, Ali Damar, Hacer Sarioglu, Ibrahim Polat, Mehmet Yigit, Mustafa Dogan, Tahir Dogan, Yilmaz Yildiz. eib Infos: www.bmi-wittlich.deExtra

Warum ist die Arbeit des Migrationsbeirats für die Stadt so wichtig? Yigit: Wir leben in einer Gesellschaft, die auf dem Weg zu einer Multikultur ist. Ein Beirat für Migration und Integration ist für jede Stadt wichtig, besonders für Wittlich. Etwa ein Drittel der Menschen mit Migrationshintergrund aus dem Kreis wohnen in Wittlich. Welches Ziel ist Ihrer Meinung nach am wichtigsten? Yigit: Der Leitgedanke bei der Schaffung der Ausländerbeiräte war es, die Interessen der ausländischen Mitbürger in der kommunalen Politik zu vertreten. Dieser Gedanke ist in einem relativen Abklang, da es vielmehr auch um die Integration geht. Durch den Wandel vom Ausländerbeirat zum Beirat für Migration und Integration hat das Gremium seine Kompetenzen erweitert. Wir haben es uns zur Hauptaufgabe gemacht, Projekte zu schaffen, die den gemeinsamen Dialog und das gemeinsame Miteinander fördern. Das gegenseitige Vertrauen ist ein wichtiger Baustein zur Integration. Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Menschen mit Migrationshintergrund in Wittlich? Yigit: Ich wünsche jedem meiner Mitmenschen den Erfolg, den er anstrebt, nachdem er sich das Ziel gesetzt hat, eine Verbesserung für sich selbst und sein Umfeld zu bringen. Der Erfolg unserer Gesellschaft hängt vom Erfolg eines jeden Einzelnen ab. eibExtra

 Siddik Simsek, Vorsitzender des Migrationsbeirats. Foto: Privat

Siddik Simsek, Vorsitzender des Migrationsbeirats. Foto: Privat

Selma Kesten, 30, aus der Türkei, lebt seit zehn Jahren in Wittlich: "Ich habe hier einen großen Freundeskreis, die Menschen sind nett, und ich hatte nie negative Erlebnisse. In der Türkei hatten wir nur Probleme. Hier zu sein bedeutet für mich frei sein. Ich bin stolz, dass ich in Deutschland bin. Wittlich ist zu meiner Heimat geworden. Mittlerweile habe ich auch einen deutschen Pass." Oksana Prinz, 35, aus Russland, lebt seit 2005 in Wittlich: "Natürlich gibt es Leute, die keinen Kontakt zu anderen suchen, aber das ist nicht gut. Über meine Arbeit als Sportlehrerin, als Übungsleiterin in Betrieben und als Ehrenamtliche in Vereinen habe ich viel mit Menschen zu tun. Ich bin auch immer beim Kinderfest dabei. Da hoffe ich, dass noch mehr Leute kommen und mitmachen." eib

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