Die Straßen werden öder und leerer

Wittlich · Wie erlebten die Menschen in Wittlich den Ausbruch des Ersten Weltkrieges? Carl Nels hat die Ereignisse vor 100 Jahren in einem Tagebuch festgehalten.

 Der Wittlicher Stadtbeigeordnete Albert Klein rekonstruirte mit Hilfe des Tagebuchs von Carl Nels (1864-1949) die Ereignisse in Wittlich vor Ausbruch und in den ersten Monaten des Ersten Weltkriegs. TV-Foto: Holger Teusch

Der Wittlicher Stadtbeigeordnete Albert Klein rekonstruirte mit Hilfe des Tagebuchs von Carl Nels (1864-1949) die Ereignisse in Wittlich vor Ausbruch und in den ersten Monaten des Ersten Weltkriegs. TV-Foto: Holger Teusch

Wittlich. Die Menschen hatten große Angst! Und das zu Recht! Das, was Albert Klein aus dem Nels\'schen Tagebuch herausgefiltert hat, zeigt: Der Erste Weltkrieg ließ das öffentliche Leben auch in Wittlich einschlafen. Natürlich, die Kirmes, die damals am zweiten Sonntag im November gefeiert wurde, fiel aus.
Aber auch sonst zeichnet Nels in seinen Aufzeichnungen ein düsteres Bild schon in den ersten Kriegsmonaten: "Die Straßen sind wie ausgestoben. Ab und zu trifft man auf traurige Gesichter", schreibt der damals 50 Jahre alte Verleger in seinem Tagebuch. Schon am 8. August vermerkt er: "Öder und leerer werden die Straßen."
Am 31. Juli 1914 hatte Kaiser Wilhelm II. den Kriegszustand erklärt. Am Tag darauf folgte die Kriegserklärung an Russland. Nels berichtet, dass Handwerker ihre Arbeit niederlegten: "Die Ankündigung wirkte augenblicklich lähmend!" Schon als sich der Kriegsausbruch abzeichnet, kommt es zu Hamsterkäufen. Die Preise steigen. Am 11. August werden auf dem Markt für ein Pfund Butter zunächst zwischen 1,50 Mark und 1,80 Mark verlangt. Dann schreitet ein Polizist ein und legt den Preis auf 1,20 Mark fest. - Ein Szenario des Obrigkeitsgehorsams, das Nels beschreibt, das man sich heute kaum mehr vorstellen kann.
Auch wenn alles weit weg scheint, "ich finde solche Veranstaltungen unglaublich wichtig, damit die Erinnerung an die Grauen des Krieges wach bleibt", sagt der 70-jährige Achim Hahl. Denn gelitten hat die Bevölkerung.
Durch die Feldpostbriefe erfahren die Wittlicher, wie teuer die offiziell so glorreich dargestellten Siege erkauft sind und dass es schon bald nicht mehr vorangeht. "Es dämmert, dass bei den Siegen die Verluste größer waren, als der Gewinn", schreibt Nels und zitiert aus einem Brief von Peter Bungert von der Westfront: "Wer bisher noch nicht beten konnte, der hat es hier gelernt." Am Ende des ersten Kriegsjahres hat Wittlich bereits 28 Kriegstote zu beklagen.
Extra: Nels\'sche Tagebuch
Der Wittlicher Verleger Carl Nels (1864-1949) führte vom 1. Januar 1914 bis Oktober 1916 ein Tagebuch, in dem er als Chronist die Ereignisse in seiner Heimatstadt auf rund 200 Seiten festhielt. Albert Klein stieß auf Zitate aus diesem Tagebuch in Klaus Petrys dritten Band zur "Wittlicher Geschichte". Carl Nels\' Enkel Franz-Richard erlaubte dem Stadtbeigeordneten, mit Hilfe des teilweise in Sütterlinschrift verfassten Original-Tagebuchs seinen Bild-Vortrag zu den Kriegsereignissen in Wittlich zu erstellen.

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