Die Wengerohrer Hebamme

Wittlich-Wengerohr · Bis in die Zeit um 1960 waren Hausgeburten üblich. Daher gab es in vielen Dörfern ortsansässige Hebammen. In Wengerohr war es Anna Kaspari, die einer kompletten Generation ins Leben geholfen hat.

 Anna Kaspari war 36 Jahre lang Hebamme. Tv-Foto: Erich Gerten

Anna Kaspari war 36 Jahre lang Hebamme. Tv-Foto: Erich Gerten

Wittlich-Wengerohr. Die Hebamme - wenn diese Bezeichnung genannt wurde, war in Wengerohr von 1929 bis 1965 klar, wer gemeint ist. Anna Kaspari war Tag und Nacht einsatzbereit, wenn es darum ging, bei den damals üblichen Hausgeburten dabei zu sein und die Wöchnerinnen zehn Tage lang zu betreuen. Ärztliche Hilfe wurde nur in kritischen Fällen gerufen. "Quasi alle Wengerohrer Kinder in diesen mehr als 30 Jahren sind von meiner Mutter auf die Welt geholt worden", erzählt ihre Tochter Margret.
STADT GESCHICHTE(N)


1929 war Anna Kaspari aus ihrem Heimatort Bettenfeld nach Wengerohr beordert worden und baute sich später mit ihrem Mann in der damaligen Bombogenerstraße (heute Eifelstraße) ein Haus. Ihr Betreuungsbereich erstreckte sich auch auf die Dörfer Platten, Altrich, Bombogen, Dorf und Belingen. Selten wurde sie telefonisch informiert, denn Telefone waren noch nicht verbreitet. Meist klopften die Angehörigen bei Kasparis an die Haustür, wenn die Wehen bei einer Schwangeren eintraten, oft mitten in der Nacht.
Schnell nahm sie ihr Hebammenköfferchen zur Hand und ab ging es per Fahrrad, egal ob Sommer oder Winter. Sogar im Zweiten Weltkrieg während Fliegerangriffen ist sie mit dem Rad gefahren. "Meine Mutter hat sich zuletzt ein weißes Betttuch auf den Rücken gebunden, darauf ein rotes Kreuz genäht und ab ging es, wie immer mit dem Fahrrad." Anna Kaspari ist von den Jagdfliegern unbehelligt geblieben. Aber Ungemach drohte ihr von den eigenen Landsleuten, als sie sich weigerte, die Hakenkreuzfahne eines vorbeimarschierenden Trupps zu grüßen. Aus der angeordneten Verhaftung wurde nichts. Im Gegenteil - die Hebamme war unentbehrlich auch für die im Arbeitslager am Wengerohrer Bahnhof internierten polnischen Frauen. "Meine Mutter ist dort häufig hingefahren, um den halbverhungerten Polinnen Essen zu bringen", berichtet Tochter Margret. Auch die Wengerohrer selbst wollten helfen, haben sich aber wegen der strengen Bewachung nicht getraut. Die Hebamme wurde vom Wachpersonal akzeptiert.
1965 endete die Hebammentätigkeit in Wengerohr. In dieser Zeit gab es kaum noch Hausgeburten, weil die Frauen sich zur Entbindung ins Krankenhaus begaben. Die 1899 geborene Frau trat in den Ruhestand. Anna Kaspari starb 1981. In Wengerohr wird noch heute berichtet: Die Hebamme Anna Kaspari hat viel Gutes getan, vor allem hat sie einer kompletten Generation im Wittlicher Tal auf die Welt verholfen.

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