Döner statt Plätzchen, Käppi statt Bischofshut

Wittlich · Er füllt heimlich Stiefel und Strümpfe mit Geschenken. Manchmal kommt er persönlich zu den Kindern, gehüllt in einen roten Mantel oder wie ein echter Bischof gekleidet mit Mitra und Stab. Doch in Wittlich kam der Nikolaus in weißer Jacke und, Käppi und Kochmütze und brachte statt Plätzchen etwas Herzhaftes.

 Dankeschön für selbstlose Helfer: Der 40-jährige Celal Bayindir (links) schenkt DRK-Mitarbeitern sowie Eva Bartmann und Judith Basten (von rechts) von der Notaufnahme des Wittlicher Verbundkrankenhauses einen Döner zu Nikolaus. TV-Foto: Mechthild Schneiders

Dankeschön für selbstlose Helfer: Der 40-jährige Celal Bayindir (links) schenkt DRK-Mitarbeitern sowie Eva Bartmann und Judith Basten (von rechts) von der Notaufnahme des Wittlicher Verbundkrankenhauses einen Döner zu Nikolaus. TV-Foto: Mechthild Schneiders

Wittlich. Nikolausabend: Es riecht nach scharf gewürztem Gegrillten. Ein fester Griff, schon verschwindet eine Zange voll Fleischstreifen im Fladenbrot. Ihnen folgen Salat, Kraut, Tomaten. "Zwiebeln?" "Nein." "Peperoni?" "Ja, und Käse." Hört sich an wie das Verkaufsgespräch in einem türkischen Schnellimbiss. Ist aber im Aufenthaltsraum der Rettungswache des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) am Wittlicher Krankenhaus. Die "Kunden" sind Mitarbeiter des DRK. Bezahlt wird mit einem Dankeschön.
Geste der Völkerverständigung


Dankeschön sagen ist auch die Motivation für diesen anderen Nikolausabend, der "eine kleine interkulturelle Geste der Völkerverständigung" sein will. Celal Bayindir von Sultan Döner in der Friedrichstraße hat ihn initiiert und will ihn im kommenden Jahr wiederholen, vielleicht bei Feuerwehr oder Polizei. "Wir wollen am Nikolausabend Menschen etwas Gutes tun, die rund um die Uhr für andere da sind, egal welcher Herkunft, sozialer Status, Hautfarbe und Religion, ohne selbst etwas dafür zu erwarten." Der Heilige Nikolaus habe sein Erbe den Armen geschenkt. Und er stamme aus der heutigen Türkei. Den Armen zu helfen sei auch Pflicht eines Moslem: "Wenn du Essen kochst, sollst du deinen Nachbarn davon anbieten."
Mehr als 20 Männer und Frauen warten vor dem Tisch, auf dem Bayindir und sein Mitarbeiter Servet Cakmak das Essen dekoriert haben. Nach und nach überreichen sie den Hungrigen Döner auf silbernen Tellern. Zwölf der insgesamt 35 Mitarbeiter arbeiten tagsüber in der DRK-Wache, drei nachts. Nun sind auch viele da, die frei oder Urlaub haben, zudem Schwestern und Ärzte der Notaufnahme.
Celals Vater Mehmet kam 1978 aus dem Südosten der Türkei nach Wittlich, arbeitete bei Ideal Standard. Da war Celal fünf Jahre alt. Ihm seien die deutschen Traditionen und Feiertage vertraut. "Meine vier Kinder bekommen auch am Nikolausabend kleine Geschenke. Und wenn wir Ramadan feiern, feiern unsere Gäste mit uns."
Immer wieder verweben sich christliche und islamische Kultur. Bayindir stammt aus Urfa, 80 Kilometer vom Euphrat entfernt. Seine ersten fünf Jahre hat er dort verbracht.
Urfa ist das antike Edessa und die fünftheiligste Stätte des Islam. Abraham, Stammvater von Christen und Moslems, wurde nach islamischer Tradition hier geboren. Ab 200 war die Stadt Zentrum christlicher Lehre und Sitz von Bischöfen.
Sie hat eine wechselvolle Geschichte, mal herrschten Byzantiner, mal Muslime, mal Kreuzfahrer, bis sie 1637 vom Osmanischen Reich erobert wurde.
Patara an der Lykischen Küste, wo Nikolaus Ende des 3. Jahrhunderts geboren wurde, soll der Apostel Paulus auf seiner dritten Missionarsreise besucht haben. Heute ist es ein Dorf mit einer Moschee. Etwa 90 Kilometer östlich liegt die antike Stadt Myra, in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts Bischofssitz von St. Nikolaus, das heutige Demre. In Wittlich eröffnete Mehmet Bayindir 1998 seinen Imbiss. 2013 haben ihn die Kinder übernommen. "Wir sind ein Teil von Wittlich", sagt Celal Bayindir, der seit 2003 den deutschen Pass hat. "Egal wo ich bin, jeder kennt mich. Weil ich mich unterhalten kann - auch über Fußball, Formel Eins und Politik."
Und so hat er als Schirmherr den Bürgerbeauftragten von Rheinland-Pfalz, Dieter Burgard, eingeladen. Ein Amt, das aus der Türkei stammt. Der schwedische König Karl XII. hat vor rund 200 Jahren dieses System der unparteiischen Schiedspersonen aus seinem Exil im Osmanischen Reich mitgebracht.Extra

Türken in Wittlich: 683 Türken leben im Landkreis Bernkastel-Wittlich (Stand 2013, Ausländerzentralregister). Sie sind mit 9,45 Prozent die zweitgrößte Gruppe ausländischer Bürger nach den 1252 Polen (17,33 Prozent). Doch die Zahl der türkisch stämmigen Menschen im Kreis ist weitaus höher, haben doch einige inzwischen einen deutschen Pass: Zwischen 2008 und 2012 wurden 75 Personen eingebürgert Die meisten Türken, rund drei Viertel, leben in der Stadt Wittlich. Sie kamen Anfang der 1970er Jahre, um bei den großen Industriefirmen wie Dunlop, Ideal Standard und Dr. Oetker zu arbeiten. Inzwischen leben viele in der dritten Generation in Deutschland - zumindest die letzte ist hier geboren. In Wittlich Stadt gibt es drei Moscheen, davon eine in Wengerohr, und im Kreis zahlreiche türkisch stämmige Unternehmer vor allem im Gast- und Baugewerbe. mehi

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