Durst und Schweinedärme

WITTLICH. (lars/ger) Raum für Anekdoten, kurze Abhandlungen und Erinnerungen unserer Leser schafft der Trierische Volksfreund ab heute unter den neuen Rubriken "Stadtgeschichte(n)" und "Dorfgeschichte(n)". Werden auch Sie mit einer eigenen Anekdote Teil der örtlichen Geschichte.

Geschichte ist nicht nur die Geschichte der großen Männer und Frauen, der Schlachten, Kriege und Verwüstungen. Geschichte ist auch das Kleine, das Beschauliche, die Geschichten, die für die Jüngeren verstehbar machen, warum man von der "guten, alten Zeit" spricht, ob wohl diese zumindest materiell betrachtet, oft alles andere als gut war. Diese Art der lokalen Geschichte lebt manchmal zwar auch in Archiven, viel öfter aber in den Erinnerungen, in den Traditionen und in von Generation zu Generation weitergegebenen Anekdoten. Genau diesen will der Trierische Volksfreund ab sofort an jedem Donnerstag unter dem Titel "Stadtgeschichte(n)" und "Dorfgeschichte(n)" ihren Raum geben. Hier sollen historische Anekdoten veröffentlicht werden, neben kurzen Abhandlungen zu großen Ereignisse und Erklärungen oft rätselhafter Straßen- und Flurnamen, vor allem auch persönliche Erinnerungen unserer Leser an Umbrüche in der Stadt und auf den umliegenden Dörfern ihren Platz finden. Zum Start handelt unsere Stadtgeschichte von Deuntsche Wellem, der im 19. Jahrhundert in Wittlich lebte: Sein Zuhause war in der Burgstraße, zumindest nachts. Tagsüber trieb er sich im Wald umher. Wilhelm Deuntsche lebte in der Zeit um 1850 mit seinen fünf Geschwistern in Wittlich. Wellem hatte unter Napoleon die Spanien- und Russlandfeldzüge und später auf preußischer Seite die Freiheitskämpfe von 1814 mitgemacht. Als Veteran nahm Wellem daher alljährlich am Geburtstag des preußischen Königs am städtischen Festmahl teil, wobei jeder Veteran als Geschenk einen Taler erhielt. Wellem konnte sich des Talers jedoch nie lange erfreuen, denn bald erschien im Saal seine Schwester Durat und nahm ihm den Taler aus der Hosentasche. "Den Daler raus, du Schwein!" Das waren grobe Worte, aber Wellem trug auf diese Weise zumindest einmal jährlich zum Lebensunterhalt seiner Familie bei. Denn die einzige Arbeit, die Wellem täglich leistete, war die Brennholzversorgung für den Haushalt. Ein zweirädriger Karren war sein täglicher Begleiter zum Grünewald. Morgens zum Kaffee verschlang er ein komplettes Brot, dann ging es auf zum Holzlesen. Abends kam Wellem dann müde und abgerackert, natürlich vom Faulenzen, mit den Holzschanzen heim. Die Schwester Käth tischte dem Wellem auf: das Mittagessen, den Nachmittagskaffee und das Nachtessen. Dies alles verschlang Wellem, denn beim Essen ließ er sich nichts zu schulden kommen, und wehe der Käth, wenn nicht genug auf den Tisch kam. Eines Tages langten die Rationen nicht, und Wellem knurrte in einem fort. An diesem Abend hatte er dem Branntwein mehr als üblich zugesprochen. Und er bekam des Nachts Brand (Durst). Wellem stand auf, um in der Küche Wasser zu trinken. Dort stand ein Pott mit Wasser, und Wellem trank, und trank, bis der Pott leer war. Am anderen Tag suchte sein Bruder Karl den Pott mit Därmen von der Schweineschlachtung, den er abends in der Küche abgestellt hatte. Käth traf den Nagel auf den Kopf: "Gieh mol zu ose Wellem, dä hat wieder Brand gehabt!" Und richtig: Wellem hatte die Därme hinuntergeschluckt, denn ein Stück Darm hing noch aus seinem Munde heraus. "Glott" war er halt nicht, der Wellem. Wenn auch Sie eine historische Anekdote kennen, einen für viele unverständlichen Namen eines Hauses, einer Straße oder eines Flurstücks erklären können oder zu einem historischen Ereignis eine ganz persönliche Geschichte zu erzählen haben, dann schreiben Sie unter dem Stichwort "Stadtgeschichten" mit Ihrem Namen, Adresse und Telefonnummer für etwaige Rückfragen an die E-Mail-Adresse mosel@volksfreund.deWichtig für eine rasche Veröffentlichung ist, dass Ihre Geschichte knapp formuliert ist und etwa 60 Druckzeilen (à 30 Anschläge) umfasst. Falls Ihnen ein historisches Foto vorliegt, ist uns dieses (hinreichende Qualität vorausgesetzt) natürlich auch willkommen. Die Lokalredaktion freut sich auf Ihre persönliche(n) Geschichte(n).

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