Ein Franzose und sein Kampf um die Historie

Wittlich · Die Geschichte, die unter dem Wittlicher Pflaster schlummert, lässt ihm keine Ruhe. Lange kämpfte Patrick Bourassin um den Wiederaufbau von Schloss Philippsfreude. Der Lehrer ist inzwischen pensioniert. Doch von Ruhestand hält er nichts.

 Lebt Geschichte: Patrick Bourassin in seiner heimischen Bibliothek. TV-Foto: Klaus Kimmling

Lebt Geschichte: Patrick Bourassin in seiner heimischen Bibliothek. TV-Foto: Klaus Kimmling

Wittlich. Als Patrick Bourassin zum ersten Mal nach Wittlich gekommen ist, hatte er das Gefühl, in einer ausgebombten Stadt gelandet zu sein. Er kam mit dem Zug aus Tübingen, mitsamt seinem Militärgepäck, und sah vom Bahnhof aus die roten Gebäude zwischen dem Kino und dem Haus Mehs. Wittlich zeigte ihm seine hässlichste Seite, alt und heruntergekommen. Keine Spur von Liebe auf den ersten Blick.
Das war in den 1960er Jahren. Die roten Gebäude gibt es immer noch, doch ansonsten hat sich vieles verändert. Inzwischen ist Wittlich für Patrick Bourassin "mein Heim".
Damals kam er als Soldat nach Deutschland, war in Trier stationiert. In Wittlich lernte er eine junge Frau kennen. Sie war Schülerin, er gab ihr Nachhilfe in Französisch. Die beiden verliebten sich, heirateten - und Patrick Bourassin zog in die Stadt, die er anfangs für ausgebombt gehalten hatte. Zwei Herzen schlagen heute in seiner Brust: Das eine schlägt für Tours, die Stadt in Frankreich, in der er geboren wurde. Das andere schlägt für Wittlich.
Geschichtsstunde im Kleinformat


Fast 40 Jahre war er Geschichtslehrer am Peter-Wust-Gymnasium. "Ich habe nie aufgehört, Historiker zu sein. Man wird nicht pensioniert und hört auf zu denken. Man informiert sich weiter, kauft sich Bücher."
Geschichtsstunde im Kleinformat: Sein Enkelsohn ist zu Besuch, Patrick Bourassin sitzt auf einem Stuhl in seinem Arbeitszimmer und erklärt ihm die Welt. Er spricht über Krieg und Frieden, über Russland und den Iran, zeigt Bücher, die er darüber hat. Sein Enkel denkt nach und stellt Fragen. Der Großvater beantwortet sie gerne.
Er hat tatsächlich nie aufgehört, Historiker zu sein: "Als Wissenschaftler sollte man nicht in den Ruhestand gehen. Man sollte arbeiten bis zum Schluss. Das ist vielleicht übertrieben, aber ich bin ein Übertreiber."
Bourassin erzählt von seinem Studium und von der Geburt seiner Kinder. Doch immer wieder schweift er ab, kommt auf Themen aus der Geschichte, lenkt das Gespräch auf Burg Ottenstein oder auf den Tempel von König Herodes. Man merkt es: Dieser Mann ist Historiker mit Leib und Seele. Jahrzehntelang kämpfte er um den Wiederaufbau von Schloss Philippsfreude, das im 16. Jahrhundert in Wittlich gebaut worden war und Anfang des 19. Jahrhunderts als Steinbruch endete. Sein Kampf blieb erfolglos. Statt des Schlosses wurde die Schlossgalerie gebaut. Die findet Bourassin furchtbar: "Der Name ,Schloss‘ wurde gestohlen, um etwas Einfallsloses zu bauen. Diese Allerweltsläden sind seelenlos."
Im Moment setzt er sich dafür ein, dass Burg Ottenstein teilweise rekonstruiert wird. Zumindest den Grundriss sollte man auf dem Schlossplatz kenntlich machen: "Das ist mein Traum."
Patrick Bourassin hat ein
Faible für die Vergangenheit. In seiner eigenen ist er tief verwurzelt - auch wenn man ihn in Frankreich nicht mehr kennt. "In Frankreich bin ich ein Geist", sagt er, "da bin ich tot, obwohl ich noch lebe. Wenn ich dagegen durch Wittlich gehe, fragt man mich: ,Patrick, wie geht es dir?‘ Und das nicht ein Mal, sondern zehn Mal."

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