Gefährliche Körperverletzung Ein „Gewaltexzess“ in Wittlichs Straßen

Wittlich · Nachbarn mit  Schlagstöcken blutig geprügelt: Das Amtsgericht Wittlich verurteilt zwei Männer zu Freiheitsstrafen.

Aus welchem Motiv heraus  zwei Männer am 5. Juli 2017 in der Wittlicher Neustraße ihren Nachbarn auf offener  Straße mit Holzlatten attackiert haben, dazu bestanden gestern vor Gericht unterschiedliche Auffassungen. Fakt ist, dass die 40 und 22 Jahre alten Brüder die Tat gestanden haben und vom Amtsgericht Wittlich wegen gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen von acht Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurden, verurteilt wurden. Außerdem müssen sie, wenn sie nicht im Gefängnis landen wollen, 100 Sozialstunden ableisten. Dabei hatte sich die Verteidigung aufgrund der in der Verhandlung erörterten Vorgeschichte, die überraschenderweise  kein allzu gutes Licht auf den zusammengeschlagenen Nachbarn warf,  ein milderes Urteil erhofft.

Vorgeschichte Die beiden Männer auf der Anklagebank erklärten mit Unterstützung einer Dolmetscherin, ihr Nachbar habe die Töchter des älteren Angeklagten im Vorfeld mehrfach „angesprochen und belästigt“ und am Tag der Tat im Hausflur gar „am Handgelenk gepackt und in Richtung seiner Wohnung gezerrt“. Schon über einen längeren Zeitraum soll der Nachbar seine Familie mit Frau und insgesamt sechs Kindern „oftmals vom Balkon aus beobachtet haben“, weshalb die Familie extra einen Sichtschutz angebracht hatte. An einem Tag im März 2017 soll der Nachbar von seinem Balkon auf den der syrischen Familie geklettert sein. „Keine Ahnung, was er auf unserem Balkon wollte“, sagte der ältere  Angeklagte und Vater von sechs Kindern, „ich habe die Balkontür geöffnet, dann hat er mich mit der Faust ins Gesicht geschlagen und ist geflüchtet.“  Seine Frau und die Kinder hätten Angst vor dem Nachbarn gehabt, der sich seiner Familie oftmals auch „nackt“ auf dem Balkon gezeigt habe. Im weiteren Verlauf der Verhandlung wurde aus dem „nackt“ allerdings ein „entblößter Oberkörper“, „wobei es in unserem Kulturkreis kein Verbrechen darstellt, sich so auf seinem eigenen Balkon aufzuhalten“, wie Staatsanwältin de Renet klarstellte. Gegenüber der Polizei soll der Familienvater zudem erklärt haben, das „Verhalten des Nachbarn hat die Ehre seiner Frau und Kinder verletzt“.

Körperverletzung  Im Juli 2017 eskalierten die lange bestehenden „Spannungen“ mit dem Nachbarn  aufgrund eines aktuellen Ereignisses.

Die syrische Familie hatte  den 22-jährigen Bruder des Angeklagten zu Gast, der sich an der Auseinandersetzung mit dem Nachbarn beteiligte und deshalb neben seinem äteren Bruder auf der Anklagebank saß.

Als die Frau mit den Töchtern  von ihren Einkäufen nach Hause kam, soll der  Nachbar die zwölfjährige Tochter im Treppenhaus angesprochen, am Handgelenk gepackt und in Richtung seiner Wohnung gezogen haben, erklärte der Angeklagte und Vater des Mädchens.  „Ich habe meine Töchter im Flur schreien gehört. Sie kamen mir weinend entgegengelaufen. Ich war voller Wut und bin dann zu ihm runter gelaufen“, sagte der 40-Jährige auf der Anklagebank. Sein jüngerer Bruder folgte ihm wenige Sekunden später mit zwei Holzlatten in der Hand. Wie eine Zeugin vor Gericht schilderte, sollen die beiden Männer dann in der Neustraße mehrfach auf den Kopf und den Oberkörper des Nachbarn, der vor ihnen flüchtete,  eingeschlagen haben. Das 27-jährige Opfer erlitt mehrere Platzwunden am Kopf, im Gesicht und am Oberkörper, musste im Krankenhaus genäht werden, trug aber nach eigenen Angaben keine bleibenden Schäden davon. Im Zeugenstand sagte er, die Frau und Mutter von sechs Kindern habe ihm „Avancen“ gemacht. „Die Geschichte mit den Kindern erzählen sie jedem, sie stimmt aber nicht. Ich hatte eine Art Affäre mit seiner Frau, die mir vom Fenster aus immer schöne Blicke zugeworfen und mich verführt hat.  Deshalb wollten sie mich töten.“

Plädoyers Staatsanwältin Susanne de Renet sah in dem „Gewaltexzess“ auf offener Straße nichts als einen Akt der Bestrafung. „Weshalb haben Sie nicht die Polizei gerufen, als Ihre Kinder Ihnen schreiend entgegengelaufen kamen? Ich denke, dass man auch in Ihrem Heimatland keine Selbstjustiz üben darf.“  Da sich die Töchter zum Zeitpunkt der Tat nicht mehr in Gefahr befunden hätten, wären die Schläge keine Nothilfe gewesen, sagte  de Renet. Sie plädierte wegen gefährlicher Körperverletzung auf eine Freiheitsstrafe von einem Jahr, die zur Bewährung ausgesetzt werden könne, und forderte das Gericht zudem auf, den Tätern jeweils 100 Sozialstunden aufzubrummen.

Die Verteidigung hielt die Forderungen der Staatsanwaltschaft für überzogen. „Der Nachbar hat die Familie provoziert, weil er sie beobachtet hat. Die Töchter hatten Angst vor ihm“, sagte Rechtsanwalt Josef Salfer, der den jüngeren Angeklagten verteidigte. Auch das Geständnis und die Reue der Angeklagten,  sagte Salfer, sei bei der Strafbemessung zu berücksichtigen, weshalb nur ein minderschwerer Fall und eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als drei bis sechs Monaten in Betracht käme.

Urteil Richterin Silke Köhler traf die Mitte und verurteilte beide Männer zu Freiheitsstrafen von acht Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurden, und erteilte den Tätern die Auflage, jeweils 100 Sozialstunden in einer gemeinnützigen Einrichtung abzuleisten. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

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