Ein Vormittag inmitten reifer Rieslingtrauben

BURGEN. Ohne Hilfe läuft im Weinberg nichts. Schon gar nicht bei der alljährlichen Lese. Ein wahrhaft goldener Oktober verhilft der diesjährigen Weinlese, trotz des Defizits an einheimischen Traubensammlern, zu ihrem alten, romantischen Image zurück.

"Ist es denn nicht einfach schön bei diesem Wetter in der Natur zu arbeiten?," fragt Erntehelferin Gabi Schimper herausfordernd, und ihre selten still stehenden Augen schweifen den Burgener Römerberg hinunter, wie er da mit seinen schnurgerade gezogenen gelbgrünen Weinstöcken in der warmen Mittagssonne prangt. "Die Hände arbeiten wie allein und der Kopf wird frei." Was wohl nur jemand behaupten kann, der wie sie seit 32 Jahren im Weinberg steht.Gute Laune und großer Appetit

Die Autorin dieses Berichts jedenfalls hat nach wenigen Stunden Erstlings-Lese nicht nur einen hoffnungslos verspannten Rücken und eine imposant blutende Schnittverletzung im linken Zeigefinger, sondern vor allem Hochachtung vor der Effizienz und der unverändert guten Laune der Erntehelfer.Am Wegesrand langen derweil die sechs übrigen Saisonarbeiter beherzt beim Mittagessen zu: Würstchen mit Kartoffeln und Kohl.So ein Vormittag im Steilhang macht hungrig, und die Pause ist redlich verdient nach den unzähligen Eimern voller reifer Rieslingtrauben, die zwischen den rutschenden Schiefersplittern des Abhangs ihren Weg in der Kiepe hinuntergefunden haben zu dem wartenden Transportwagen.Gabi Schimper ist die einzige Deutsche in der Runde. Alle übrigen stammen aus Polen. Ein alt bekanntes Bild an der Mosel. "Es sind einfach keine einheimischen Erntehelfer zu finden," wiederholt Jung-Winzermeister Mark Becker die Litanei der deutschen Landwirte und Weinbauern, während er mit dem Oechslegradmesser über einem Berg praller Reben balanciert."Versuchen Sie mal beim Arbeitsamt danach zu fragen!" Seine sarkastische Miene hellt sich erst auf, als er von den in diesem Jahr erreichten Oechslegraden spricht. Statt der üblichen 80 bis 85 Grad Oechsle behauptet der Riesling in diesem Jahr mancherorts rekordverdächtige 150 bis 160 Grad. "Echt Wahnsinn!"Vater Manfred erinnert sich noch an die Zeit, da die britische Rheinarmee Soldaten zur Weinlese abstellte. Das war vor 30 Jahren. Schon damals war die Ernte-Misere abzusehen."Es gibt einfach keine Weinbergsfrauen mehr", gibt Becker Senior dem Problem einen weiblichen Namen. Ein Weingut besitze als berufliche Perspektive angesichts der wirtschaftlichen Situation einfach zu wenig Attraktivität für den Nachwuchs. Ohne die polnische Hilfe sähe es heutzutage düster aus.Polnische Hilfe wie die, die Anka und Jasiek Pryma sowie ihre Verwandten und Freunde den Beckers seit dreieinhalb Jahren und mehr zur Verfügung stellen.Eingerichtet haben sie sich für die jeweils drei Monate im Jahr auf dem weitläufigen Burgener Weingut selbst; das Essen wird ebenfalls von der Gastfamilie zur Verfügung gestellt. Auch die Beckers haben sich auf ihre Helfer eingestellt und ein gutes Verhältnis zu ihnen entwickelt. So hat Sohn Mark, auch wenn die meisten seiner Helfer Deutsch verstehen und teilweise sprechen, Polnisch gelernt, seine Schwester für ihre eigene Familie ein polnisches Au-pair- Mädchen ausgewählt.Trotz alledem macht das junge Ehepaar Pryma ganz pragmatisch klar, dass es in erster Linie um den Lohn geht. In Polen gebe es einfach keine Arbeit. Die Hoffnung Polens ruht auf der EU. Anka Pryma ist sich sicher, dann nicht mehr ins Ausland reisen und ihre heute sechs Monate alte Tochter bei Freunden zurücklassen zu müssen.

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