Geschichte Ein Stück Wittlicher Geschichte verloren

Wittlich · Eine eingestürzte Mauer in der Kirchstraße sorgt bei einer ehemaligen Hausbesitzerin für großen Ärger: Sie sieht das Andenken an die jüdischen Vorbesitzer des Hauses zerstört. Was hat es damit auf sich und wer waren die Vorbesitzer?

 Jahrelang stand die Mauer auf der Außenterrasse von Ulrike Möhn. Im Juni 2018 stürzte ein Teil davon ein. Jetzt wurde die Lücke wieder geschlossen (auf dem Foto der links an den Neubau angrenzende Teil).

Jahrelang stand die Mauer auf der Außenterrasse von Ulrike Möhn. Im Juni 2018 stürzte ein Teil davon ein. Jetzt wurde die Lücke wieder geschlossen (auf dem Foto der links an den Neubau angrenzende Teil).

Foto: TV/Myriam Kessler

Die Baustelle in der Kirchstraße in der Innenstadt dürfte vielen Wittlichern  bekannt sein. Bei Abrissarbeiten im Sommer 2018 kam es dann im anschließenden Nebengebäude, der Trierer Straße 15, zu einem Vorfall. Eine Mauer, anscheinend mit Farbanstrich der früheren Bewohner, die dem jüdischen Glauben angehörten, stürzte ein. Ulrike Möhn, die zu dem Zeitpunkt noch in dem Haus wohnte, ist entsetzt: „Die ehemalige Idylle unserer Terrasse im ersten Stock war zerstört.“

Jüdische Familien Marcks und Bär Zunächst stellt sich die Frage: Wer waren die Vorbesitzer? Daniel Marcks führte zusammen mit seinem Schwager Emil Bär ab dem 3. Juli 1904 in der Trierer Straße 15 ein Textilgeschäft. Beide lebten auch zeitweise mit ihren Familien in dem Gebäude. Daniel Marcks war Vater von drei Töchtern. Durch seinen Einfluss auf das kommunale Leben der Stadt war Marcks in Wittlich hoch geachtet. So wurde er in die Schuldeputation des Stadtrates gewählt und war Mitglied im Verein für städtische Interessen. Darüber hinaus war er Repräsentant der Synagogengemeinde und Leiter des Synagogenchores.

Sein Geschäftspartner Emil Bär stand nicht ganz so in der Öffentlichkeit. Bär war ebenfalls Repräsentant der Synagogengemeinde. Auch er hatte wie sein Schwager drei Kinder, die älteste Tochter lebte jedoch nur einige Stunden. Die beiden Männer verstarben im Jahr 1937. Noch heute befinden sich ihre Gräber auf dem jüdischen Friedhof in Wittlich. Ihre Kinder konnten während der NS-Zeit erfolgreich aus Deutschland fliehen.

Am 23. Februar 1938 wurde das Haus dann von Christine und Josef Möhn gekauft, den Vorfahren der Wittlicherin Ulrike Möhn. Der Hauswechsel fällt somit auf die erste Phase der „Arisierung“ von jüdischem Besitz. Hier war zwar oft der Verkauf durch eine allgemeine Drucksituation für viele Juden nicht  freiwillig, allerdings konnte dies auch eine mögliche Flucht aus Deutschland finanzieren. „Viele Häuser aus der Zeit wurden zu Spottpreisen verkauft, aber bei uns war das nicht der Fall!“, erklärt Möhn.

Die Mauer Möhn hat ihre Kindheit in diesem Haus verbracht und ist erst vor Kurzem ausgezogen. Zu den Gräbern der Vorbewohner bestehe eine emotionale Verbindung. 2015 traf die Wittlicherin Dan Exiner, einen Enkel von Daniel Marcks, und zeigte ihm in diesem Zuge die besagte Mauer auf der Außenterrasse. Diese habe schon immer eine besondere Rolle in ihrer Familie gespielt. „Die Mauer durfte nie gestrichen werden, da noch die ursprünglichen Farben vorhanden waren und wir das Andenken an die Vorbesitzer bewahren wollten“, erzählt Möhn. In der Familie habe man die Wand auch als „Klagemauer“ bezeichnet.

Doch im Sommer 2018 habe sich alles geändert. Sie selbst sei in Frankreich gewesen, um sich um ihren Onkel zu kümmern. Freundinnen, die die Blumen gießen sollten, hätten ihr ein Foto von der kaputten Mauer geschickt.

Möhn ist sauer auf die Architekten Berdi, die mit dem Wohnbauprojekt in der Kirchstraße beauftragt wurden. „Ich habe vorher mit einem der Berdi-Architekten gesprochen und ihm gesagt, wie wichtig mir diese Mauer ist.“ Man habe ihr hoch und heilig versprochen, dass der Mauer nichts passiere, sagt Möhn. Doch es kam anders und sie sei am Boden zerstört gewesen. „Ich hatte die Lust an meiner Terrasse verloren.“

Die Architekten Berdi Was sagen die Architekten Berdi aus Bernkastel-Kues? „Es gab vor Ausführung der Rückbauarbeiten keinerlei Kontakt unseres Büros mit Frau Möhn.“ So habe es auch keine Gespräche über den ideellen Wert eines Gebäudeteils gegeben. „Darüber hinaus möchten wir anmerken, dass dieses Gebäude weder unter Denkmalschutz steht, noch fundierte Befunde über den historischen Wert oder einen historischen Anstrich vorgelegt wurden.“

Man habe alle erforderlichen Voruntersuchungen machen lassen. Eventuell habe Möhn mit einem beauftragten Gutachter gesprochen, vermutet Jan Berdi. Auch habe man Bohrungen in die Trennwand zwischen dem Haus Möhn und dem mittlerweile rückgebauten Gebäude ausgeführt, um Rückschlüsse auf die bauliche Situation gewinnen zu können. „Unserer Ansicht nach wurde der baulichen Situation ausreichend Rechnung getragen“, so Berdi.

Auch sei keine Mauer eingestürzt, sondern lediglich ein Teilstück im oberen Bereich herausgebrochen. Berdi: „Die Mauer ist im Zuge der Rückbauarbeiten beschädigt worden, da die Konstruktion der beiden Gebäude in diesem Bereich durch Deckenbalken miteinander verzahnt war. Dieser Umstand war weder sichtbar noch im Vorfeld in irgendeiner Art und Weise kalkulierbar.“ Der Investor habe sich über das Büro für die Unannehmlichkeiten entschuldigt und die Wiederherstellung auf seine Kosten ausgeführt. Zudem wohne Möhn nicht mehr in dem Gebäude und zu dem neuen Eigentümer bestehe ein gutes Verhältnis.

  „Jahrelang stand diese Mauer mit noch erhaltenem Anstrich der jüdischen Vorbesitzern auf der Außenterrasse von Ulrike Möhn. Im Juni 2018 fanden ihrer Freundinnen die Mauer dann eingestürzt vor. Später wurde die Wand mit einer provisorischen Plane abgedeckt und nun wieder neu erbaut.“

 „Jahrelang stand diese Mauer mit noch erhaltenem Anstrich der jüdischen Vorbesitzern auf der Außenterrasse von Ulrike Möhn. Im Juni 2018 fanden ihrer Freundinnen die Mauer dann eingestürzt vor. Später wurde die Wand mit einer provisorischen Plane abgedeckt und nun wieder neu erbaut.“

Foto: TV/Ulrike Möhn
  Im Juni 2018 fanden Freundinnen von Ulrike Möhn die Mauer eingestürzt vor. Später wurde die Wand mit einer provisorischen Plane abgedeckt.

 Im Juni 2018 fanden Freundinnen von Ulrike Möhn die Mauer eingestürzt vor. Später wurde die Wand mit einer provisorischen Plane abgedeckt.

Foto: TV/Ulrike Möhn
 „Jahrelang stand diese Mauer mit noch erhaltenem Anstrich der jüdischen Vorbesitzern auf der Außenterrasse von Ulrike Möhn. Im Juni 2018 fanden ihrer Freundinnen die Mauer dann eingestürzt vor. Später wurde die Wand mit einer provisorischen Plane abgedeckt und nun wieder neu erbaut.“

„Jahrelang stand diese Mauer mit noch erhaltenem Anstrich der jüdischen Vorbesitzern auf der Außenterrasse von Ulrike Möhn. Im Juni 2018 fanden ihrer Freundinnen die Mauer dann eingestürzt vor. Später wurde die Wand mit einer provisorischen Plane abgedeckt und nun wieder neu erbaut.“

Foto: TV/Ulrike Möhn
 Daniel Marcks (links) hat mit seiner Frau Bertha Marcks-Heymann und seinen drei Töchtern in der Triererstraße 15 gewohnt.

Daniel Marcks (links) hat mit seiner Frau Bertha Marcks-Heymann und seinen drei Töchtern in der Triererstraße 15 gewohnt.

Foto: TV/privat
 Die beiden Juden Daniel Marcks und Emil Bär führten in der Triererstraße 15 ein Textilgeschäft. Beide lebten mit ihren Familien in diesem Haus.“

Die beiden Juden Daniel Marcks und Emil Bär führten in der Triererstraße 15 ein Textilgeschäft. Beide lebten mit ihren Familien in diesem Haus.“

Foto: TV/privat

Reaktion Ulrike Möhn kann sich jedoch an eine andere Geschichte erinnern. Sie betont, ein Gutachter habe im April 2018 Aufnahmen von Haus und Innenräumen gemacht, und kurz vor ihrer Abreise nach Frankreich habe sie mit einem der Berdi-Architekten gesprochen und ihn gebeten, sich die Mauer von ihrer Seite mal anzusehen. Die Wittlicherin habe ihm genau geklärt, was für einen ideellen Wert das Stück für sie habe. „Es war etwas Unwiederbringliches. Es ist jetzt passiert und kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Aber das Leben da war ruiniert.“

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