Eine junge Frau steht über den Dingen

Klausen/Dreis · Die 18-jährige Luisa Follmann aus Klausen lernt einen für eine junge Frau eher ungewöhnlichen Beruf. Sie will Dachdeckerin werden. Ihre Sache als Lehrling macht sie sehr gut. So gut, dass sie beste Chancen hat, Miss Handwerk zu werden.

Eine junge Frau steht über den Dingen
Foto: klaus kimmling (kik), klaus kimmling ("TV-Upload kimmling"

Klausen/Dreis. Luisa Follmann klettert die zwei Gerüstleitern hoch und steht jetzt fast zehn Meter über der Erde auf dem Dach eines alten Bauernhauses in Salmtal. Einen ganzen Packen Naturschiefersteine hat die 18-Jährige mit nach oben geschleppt. Sie legt die flachen, dünnen Steine auf die Holzbohle und kniet sich knapp unterm Dachfirst vor einen Schornstein, den sie mit Naturschiefer verkleiden soll. Mit dem Dachdeckerhammer klopft sie leicht auf die Schieferplatte. Am Klang kann sie hören, dass der Stein in Ordnung ist und keine Risse hat. Sie schlägt die Haubrücke ins Holzbrett, greift sich den Dachdeckerhammer und beginnt schnell und routiniert aber auch mit viel Gefühl den flachen Stein zuzurichten. Den fertigen Stein, so wie sie ihn haben will, nagelt sie an den Schornstein. Dachdeckermeister Michael Fritz ist wenige Meter weiter dabei, das Dach mit dem blaugrauen Naturmaterial einzudecken. Er schaut kurz vorbei und sagt nur ein Wort: "Gut."
Der Meister weiß, was er an Luisa hat. Sie ist der erste weibliche Lehrling in der Dreiser Firma Thieltges-Zunker. Fritz: "Luisa gibt sich sehr viel Mühe. Sie arbeitet sehr exakt und sauber. Da können sich viele andere eine Scheibe von abschneiden." Dass sie nach ihrer Lehrzeit die Gesellenprüfung bravourös bestehen wird, ist für Dachdeckermeister Fritz überhaupt keine Frage. "Wer mit so viel Liebe und Engagement sein Handwerk ausübt, hat den richtigen Beruf gewählt."
Luisa steigt wieder die Leiter hinab, ihre Hände sind dreckig, die Haare etwas unordentlich. Aus den seitlich angebrachten Taschen der Dachdeckerhose mit den typischen zwei Reißverschlüssen ragen ein Pappmesser, Zollstock und Bleistift.
Dabei könnte sie in einem warmen, trockenen Friseursalon stehen, mit Schere, Kamm und Föhn den Kunden die Haare machen, stets chic gekleidet, die Fingernägel lackiert und das Gesicht dezent geschminkt. Ihre Mutter Doris führt nämlich in Klausen einen Friseursalon. Dass Tochter Luisa einmal den Betrieb übernehmen würde, war durchaus im Bereich des Möglichen. Doch es kam alles ganz anders. Beim Girls\' Day 2013 - eine Aktion, bei der Mädchen handwerkliche und technische Berufe kennenlernen - entschied sie sich, einen Tag lang bei der Dachdeckerfirma Thieltges-Zunker in Dreis reinzuschnuppern. Sie durfte gleich mit auf eine Baustelle, und sie dachte: Das könnte doch was für mich sein.
Es folgten noch während der Schulzeit an der Realschule plus Salmtal Praktikas im Betrieb. Danach stand für sie fest: Ich will Dachdeckerin werden.
Einen Job im Büro kam für sie nie infrage. "Viel zu langweilig und eintönig", meint sie. Die Unannehmlichkeiten eines Berufs, der ausschließlich im Freien ausgeübt wird, nimmt sie in Kauf. Bei Wind und Wetter auf einem Dach stehen und dabei arbeiten, ist nicht jedermanns und vor allem nicht jederfraus Sache. "Man gewöhnt sich daran", sagt sie lapidar. Regen und Wind machen ihr wenig aus, allein wenn es im Sommer richtig heiß wird, höre der Spaß irgendwann auf.
Die Eltern waren zunächst skeptisch, als Luisa darauf bestand, den typischen Männerberuf zu erlernen. Vater Norbert: "Das ist ein gefährlicher Beruf. Da macht man sich schon ein bisschen Sorgen. Wir stehen aber hinter Luisa und unterstützen sie. Ich bin stolz, dass sie diesen ungewöhnlichen Weg eingeschlagen hat." Allein unter lauter Männern - sowohl auf der Baustelle als auch in der Berufsschulklasse des Berufsbildungszentrums Mayen - auch das ist für die junge Frau kein Problem. Im Gegenteil: Es spornt sie an, ebenso wie die Vertreter des sogenannten starken Geschlechts, die schwere körperliche Arbeit zu leisten. "Ich bin dann auch ein bisschen stolz auf mich", gibt sie zu.
Stolz kann sie auch sein, wenn sie beim Wettbewerb Miss Handwerk, eine Aktion der Zeitschrift "Deutsches Handwerksblatt", erfolgreich sein sollte. Sie hat sich beworben, und wie es zurzeit aussieht, hat sie gute Chancen das Finale in München zu erreichen.
Auf der Homepage der Zeitschrift Handwerksblatt kann man sich unter "Germany\'s PowerPeople" die Kandidaten für Mister und Miss Handwerk anschauen und mit einem Klick abstimmen. Luisa Follmann führt derzeit mit mehr als 15 000 Stimmen mit großem Abstand vor ihren Mitkonkurrentinnen.
Die nächste Stufe ist ein professionelles Fotoshooting. Schafft Luisa auch das, ist sie eine von zwölf Monatsstars im Kalender Germany\'s PowerPeople 2016. Motto: "Zwölf starke Frauen, zwölf echte Männer. Handwerk hat Power. Und sieht gut aus".
Danach sind wieder Fans und Freunde gefragt, die sich bei einer Online-Abstimmung für ihre Favoriten einsetzen können. Denn das erneute Voting ist wichtig für die Entscheidung im März 2016 auf der Internationalen Handwerksmesse in München. Hier stimmt ergänzend zur Abstimmung im Internet das Publikum direkt vor Ort ab.
Weitere Fotos im Internet: www.volksfreund.de/fotos
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 Aufstieg zum Arbeitsplatz.

Aufstieg zum Arbeitsplatz.

Foto: klaus kimmling (kik), klaus kimmling ("TV-Upload kimmling"
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Foto: klaus kimmling (kik), klaus kimmling ("TV-Upload kimmling"
 Geschick und handwerkliches Können sind gefragt.

Geschick und handwerkliches Können sind gefragt.

Foto: klaus kimmling (kik), klaus kimmling ("TV-Upload kimmling"
 Verdiente Pause mit Kollege Michael Fritz.

Verdiente Pause mit Kollege Michael Fritz.

Foto: klaus kimmling (kik), klaus kimmling ("TV-Upload kimmling"

Die Dachdeckerei ist immer noch eine Männerdomäne. Frauen sind in diesem Beruf mit unter einem Prozent vertreten. Die Materialen mit denen Dachdeckerarbeiten durchgeführt werden, haben ein hohes Gewicht und sind sehr unhandlich. Die wesentlichste Eigenschaft für Dachdecker ist die Schwindelfreiheit in luftiger Höhe. Dort müssen Dachdecker nicht nur bestehen, sondern aktiv ihr handwerkliches Geschick unter Beweis stellen, unter anderem bei der Erstellung von Holzkonstruktionen. sim

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