Eine neue Zukunft im Hunsrück

Er stammt aus Spanien, arbeitet in Deutschland und hört finnische Metal-Musik: Alejandro Ortega Garcia lernt in Thalfang den Beruf des Milchtechnologen. Die Lage in seiner Heimat Spanien ist aussichtslos.

#Cadiz, Andalusien: Prächtige Gebäude und Türme aus dem 17. und 18. Jahrhundert in der historischen Altstadt, schneeweiße Strände, tiefblaues Meer. Ein weltbekannter Urlaubsort mit viel Geschichte und einer außergewöhnlichen Landschaft. Wer möchte hier nicht Urlaub machen oder vielleicht sogar leben? Und was könnte einen Einheimischen dazu bewegen, fortzugehen und im doch etwas kühleren Hunsrück leben zu wollen, ohne Meer, ohne Strand? Für den bei Cadiz geborenen Alejandro Ortega Garcia stellte sich genau diese Frage. Und er ging weg in den Norden, wie viele aus seiner Altersgruppe. Garcia hat 2008 Abitur in Spanien gemacht und anschließend eine Ausbildung im Bereich Industrielle Chemie absolviert. Aber die Chancen auf einen festen Job waren gering. „In Andalusien gibt es kaum Möglichkeiten außer im Hotel oder im Restaurant zu arbeiten,“ sagt Garcia. Die Jugendarbeitslosenquote beträgt denn auch in Spanien 42,9 Prozent (zum Vergleich: Italien: 38 Prozent, Griechenland: 45 Prozent, Deutschland: 6,5 Prozent). Darunter fallen Jugendliche bis zum Alter von 24 Jahren. Nun arbeitet er bei Hochwald Foods und macht eine Ausbildung zum Milchtechnologen. „Wir brauchen Nachwuchskräfte und sind froh, wenn auch junge Leute aus Südeuropa zu uns kommen“, sagt Tanja Bormann, Ausbildungsleiterin bei Hochwald Foods. Und so ging der 28-Jährige ins ferne Deutschland. Dort wartete schon jemand auf ihn: Seine Freundin, die bereits zuvor von Spanien nach Deutschland ging, um in Koblenz zu studieren. Auch sie hatte keine Chance in Spanien. „Ich bin über das Programm der SHS Foundation hierher gekommen“, sagt Ortega. Die saarländische Stiftung vermittelt junge Arbeitskräfte in ganz Europa. Seit Juni 2016 lebt Garcia in der Nähe von Thalfang und fährt mit seinem Auto jeden Morgen zur Hochwald Foods. Da die spanische Ausbildung nicht anerkannt wird, muss Garcia hier noch einmal auf die Schulbank. Deshalb besucht er jeweils in Wochen-Blocks die Berufsschule in Wangen (Baden-Württemberg), um sich im Bereich Milchtechnologie fit zu machen. Einmal pro Woche ist er außerdem in Trier, um seine Deutschkenntnisse zu verbessern. „Viele Freunde in Spanien finden keine Arbeit, sie müssen bei ihren Eltern leben, weil sie sich keine Wohnung leisten können. Die Firmen wollen Leute mit Erfahrungen, aber die jungen Leute finden keinen Job, um Erfahrungen zu machen. Das ist ein Teufelskreis,“ sagt Garcia. Das habe schon vor zehn Jahren, nach der Wirtschaftskrise, begonnen. Viele seiner Freunde seien im Ausland, in Deutschland, Italien oder Großbritannien. Man halte über die sozialen Netzwerke Kontakt. An den Wochenenden trifft er sich mit seiner Freundin, liest oder besucht Heavy-Metal-Konzerte. Besonders finnischen Heavy Metal findet er gut. Ob er eines Tages nach Spanien zurückkehren will? Für Garcia ist das momentan noch keine Option. Er will sich in Deutschland eine erste Existenz aufbauen. Was Spanien betrifft, sagt Garcia: „Die Situation dort muss sich verbessern. Einerseits muss in der Industrie investiert werden. Andererseits muss das Ausbildungssystem verändert werden. Es gibt dort nur Schulen für die Berufe. Es wäre besser, wenn die Leute gleichzeitig arbeiten könnten. Wir machen immer nur kurze Praktika. Damit kommt man aber nicht in den Beruf rein.“ Das bestätigt auch Tanja Bormann, die auf das duale System in Deutschland verweist, bei dem Berufsausbildung und Schulausbildung parallel laufen.Ob Alejandro Garcia eine Chance hat, nach der Ausbildung von Hochwald Foods übernommen zu werden? Juliane Wernet, Pressesprecherin, bestätigt das: „Nach erfolgreicher Ausbildung möchten wir Alejandro gerne übernehmen“. Bisher habe man insgesamt positive Erfahrungen mit Mitarbeitern aus dem EU-Ausland und auch aus anderen Ländern gemacht. Das Anwerben von Südeuropäern sei ein Modell von vielen, mit denen man dem Fachkräftemangel in Deutschland begegnen könne. EINE STIFTUNG SCHAFFT PERSPEKTIVENDie SHS Foundation („Saarländer helfen Saarländern“) hat das Konzept „europatriates“ zur Lösung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa entwickelt. Die Arbeitslosigkeit in den betroffenen Ländern kann verringert werden, indem sie in europäischen Gastländern zeitweise in Ausbildung und Beschäftigung gewandelt wird. Zugleich wird die Entwicklung einer Perspektive für Erwerbstätigkeit im Herkunftsland unterstützt. KOMMENTAR:Mehr Solidarität für SüdeuropaDie Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa ist ein wichtiges Thema, das mehr Aufmerksamkeit braucht. Die Quoten sind alarmierend: Über 40 Prozent der jungen Menschen im Süden der Union haben keine Perspektive in ihrem Heimatland. Wenn der allseits beschworene europäische Gedanke wirklich weiterleben soll, dann muss gerade diesen Leuten geholfen werden. Nur so kann es eine Zukunft für Europa geben, denn auch die südeuropäischen Staaten müssen in die Lage versetzt werden, ihre Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Solche Ausbildungsprojekte sind daher sehr begrüßenswert, denn sie können mithelfen, Handel und Gewerbe in Südeuropa wieder zu beleben. Wir sollten unseren südeuropäischen Mitbürgern daher mehr Solidarität und Aufmerksamkeit schenken.Hans-Peter Linz

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