Einfach mitfahren und Weltmeister werden

Oberscheidweiler · Von 1977 bis zu seiner Krankheit 2006 ist Peter Wötzel aus Oberscheidweiler Lastkraftwagen und Reisebusse gefahren. Seit 35 Jahren nimmt er mit ihnen an Geschicklichkeitsturnieren teil, in denen er die Fahrzeuge zentimetergenau lenken und parken muss. Mit einem 3,5-Tonner ist er nun Weltmeister geworden und das, obwohl er vor acht Jahren eigentlich schon klinisch tot war.

Oberscheidweiler. Wäre an diesem Karfreitag, dem 14. April 2006, alles mit rechten Dingen zugegangen, dann würde Peter Wötzel beim Besuch des TV nicht in seinem Rollstuhl am Esszimmertisch sitzen. Er würde nicht aus seiner Michael-Schumacher-Kaffeetasse trinken. Und er würde auch nicht von seinem Weltmeistertitel im LKW-Geschicklichkeitsfahren erzählen. Denn der 61-Jährige mit den grauen Haaren, den wachen, eisblauen Augen und der einnehmend offenen Art war am Karfreitag 2006 mehr als zwei Minuten lang klinisch tot.Keiner weiß, was passiert ist


"Nachdem ich auf den Rücken gefallen war, kam ich ins Krankenhaus. Bei einer Untersuchung einige Tage später stellten die Ärzte fest, dass ich Bakterien in meinem Körper habe, die mich lahmlegten. Ich konnte mich nicht mehr bewegen, nicht mehr selbst essen, nur noch wispern und niemand wollte mir diese Bakterienstämme herausoperieren, weil mir keiner eine Überlebenschance gab", erzählt Wötzel. So vergingen die Tage, bis sich die Uni-Klinik Bonn dann doch dazu bereit erklärte, ihn zu operieren. Vor dem Transport nach Bonn hatte der evangelische Wötzel im Wittlicher Krankenhaus bereits die letzte Salbung bekommen - von einem katholischen Pfarrer.
"Während der Operation mussten sie mich fünf Mal reanimieren. Dann aber lag ich dort. Und war weg. Die Ärzte warteten fast zwei Minuten lang. Dann stellte die Schwester die Maschinen ab. Eine nach der anderen. Bevor sie die letzte Maschine ausschaltete, wartete sie noch einmal. Ich weiß nicht warum ... und plötzlich war ich wieder da."
Was damals genau passiert ist, das weiß keiner. "Es war noch nicht an der Zeit, der da oben wollte dich jetzt noch nicht zu sich holen", habe der Arzt zu ihm gesagt. Eine medizinische Erklärung gibt es für diesen Karfreitag nicht. "Es waren tausend Wunder", sagt Peter Wötzel an diesem Nachmittag.
Diese Geschichte vom Karfreitag ist genau deshalb so wichtig, weil Peter Wötzel danach einfach weitergemacht hat. Er sitzt heute im Rollstuhl, hat mehr schlechte als gute Tage. Wenn er auf eigenen Beinen geht, kann bei jedem Schritt die Kraft weg sein, könnte er stürzen, und es könnte sein letzter Sturz gewesen sein. Aber Wötzel macht unbeirrt weiter mit dem Leben. Er drückt das so aus: "Ich habe mir Humor, Kampfgeist und Hoffnung bewahrt."
Und er hat natürlich auch weitergemacht mit seiner Leidenschaft, dem LKW-Geschicklichkeitsfahren (siehe Extra).
Weil er "einfach gerne unterwegs" ist, fuhr Wötzel von 1977 bis zu seiner Krankheit 2006 Autos, Busse und LKWs - "je größer, desto besser". Mehr als acht Millionen Kilometer hat er als LKW-Fahrer unter anderem für Rallye-Teams und den Fernsehsender RTL quer durch Europa zurückgelegt. Dass man auch auf Geschicklichkeit fahren kann, entdeckte er 1979.
Bei seinem ersten Wettbewerb in Neuwied lenkte er sich direkt auf den ersten Platz. Der Beginn einer 35-jährigen Karriere, in der er mehrmals Deutscher Meister, Teamweltmeister und Einzel-Vizeweltmeister wurde und von 40-Tonner-Sattelzügen über Busse bis zu 3,5-Tonnern in allen Fahrzeugklassen schon angetreten ist. Seit 1983 war Wötzel unter anderem bei Weltmeisterschaften in Norwegen, Finnland, Deutschland, den Niederlanden, Frankreich, Luxemburg, Italien, Ungarn und der Slowakei vertreten.
Die WM vor zwei Jahren im südafrikanischen Rustenburg war sogar eine Familienangelegenheit, auch Peters Sohn Daniel ging damals an den Start. "Die Erinnerung daran kann mir keiner mehr nehmen", sagt Wötzel.
Genau dieser Daniel kommt in dem Moment zur Tür herein, als sein Vater von ihm erzählt. Wötzels zweiter Sohn Ingo dagegen ist gerade erst aufgestanden, er fährt mit dem Transporter bald los auf seine Tour.
Und während Peter am Tisch weiter in Erinnerungen schwelgt, dampft und duftet es aus der Küche: Seine Frau Brigitte bereitet das Essen zu. An die Reise nach Tel Aviv, zur israelischen Meisterschaft 1988, erinnert sich Wötzel auch noch sehr genau: Als Deutscher Meister durfte er, zusammen mit drei Kollegen, als Gast mitfahren. Und er bekam sogar einen Strafzettel, weil er seinen Mietbus falsch vor dem Hotel geparkt hatte. "Den Strafzettel habe ich mir als Souvenir mitgenommen", erzählt er. Und lacht.
Eines hat ihm aber bis zu diesem Jahr noch gefehlt: der Titel als Einzelweltmeister. Im polnischen Krakau fuhr er mit einem 3,5-Tonnen-Transporter um diesen Titel. Mit Erfolg. Seit Anfang Oktober steht nun auch diese Trophäe in Wötzels Wohnzimmerschrank. Für ihn "das Allerhöchste, aber kein Grund zum Schweben". Damit ist er als Weltmeister auch für die WM in zwei Jahren im finnischen Jyväskylä qualifiziert. Wenn er sich fit fühlt, will er dort versuchen, seinen Weltmeistertitel zu verteidigen. Doch das ist Zukunftsmusik.
Wötzel schaut nach rechts aus dem bodentiefen Fenster. Regentropfen prasseln draußen auf den roten Rasenmähertraktor, die Äste der umstehenden Bäume biegen sich im Wind, es ist leicht diesig. "Eigentlich wäre ich auch jetzt lieber draußen im Brummi unterwegs. Bei jedem LKW, den ich auf der Straße fahren sehe, tut es mir in der Seele weh", sagt er und wendet den Blick wieder ab.
Im Frühjahr wollte Peter Wötzel eigentlich schon vom Geschicklichkeitsfahren zurücktreten. Doch alle seine Bekannten und Freunde meinten, er dürfe nicht aufhören, er solle bei der WM in Krakau noch einmal mitfahren und einfach Weltmeister werden. Und genauso hat Peter Wötzel es gemacht.Extra

Die Weltmeisterschaft im LKW-Geschicklichkeitsfahren wird von der "Union Internationale des Chauffeurs Routiers" (Internationalen Union der Berufsfahrer) organisiert und findet alle zwei Jahre in einem anderen Land statt. Vom Transporter mit einem Gewicht von 3,5 Tonnen bis zum 40-Tonner-Sattelzug können die Teilnehmer in fünf verschiedenen Fahrzeugklassen gegeneinander antreten. In zwölf praktischen Prüfungen müssen sie die Durchfahrtshöhe ihres Fahrzeugs schätzen, es auf engstem Raum durch Pylonen lenken oder ein Pendel an der Fahrzeugfront möglichst genau in einer Zielscheibe platzieren (siehe Foto Mitte rechts). Außerdem müssen sie auch Fragen rund um ihr Fahrzeug beantworten und zum Beispiel erklären, wie die Ladung richtig gesichert wird. Damit ist solch eine Weltmeisterschaft im Geschicklichkeitsfahren im Grunde genommen ein großes Fahrsicherheitstraining, das den Fahrern auch im Alltag dabei hilft, Abstände und Höhen besser einschätzen zu können und ihr Fahrzeug besser unter Kontrolle zu haben. mla

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort