Erinnerung trägt zur Kommunikation bei

Kempfeld · Vier Kempfelder wollen an die Entwicklung ihres Dorfes erinnern und mit Bildern und Statisiken zur Diskussion anregen. Die Idee hat Erfolg: Es wird an alte Geschichten erinnert, Anekdoten werden erzählt, und zwischen den Bürgern verbessert sich der Dialog. Was fehlt, sind aber die jungen Kempfelder.

 Früher gab es noch Kopfsteinpflaster an der Ecke Herrsteiner Straße und Hauptstraße. Das historische Foto des Hauses – ursprünglich war es Hotel, dann lange Zeit Bäckerei, in der die berühmten Waldböckelheimer Lebkuchen hergestellt wurden, später Lebensmittelladen, dann Fahrschule, heute ohne geschäftliche Nutzung – zeigte Jutta Berzborn in der Veranstaltung Café Anno dazumal in Kempfeld. Foto: privat

Früher gab es noch Kopfsteinpflaster an der Ecke Herrsteiner Straße und Hauptstraße. Das historische Foto des Hauses – ursprünglich war es Hotel, dann lange Zeit Bäckerei, in der die berühmten Waldböckelheimer Lebkuchen hergestellt wurden, später Lebensmittelladen, dann Fahrschule, heute ohne geschäftliche Nutzung – zeigte Jutta Berzborn in der Veranstaltung Café Anno dazumal in Kempfeld. Foto: privat

Kempfeld. Nichts war Hulda Hagner zu aufwendig, wenn es um Bequemlichkeit für ihre Kunden ging: Selbst fließend kaltes und warmes Wasser gab es in ihrer Hotel-Pension Ferienfreude - im Jahr 1965 ein Luxus, der es wert war, beworben zu werden. In einer anderen Anzeige aus demselben Jahr pries KFZ-Händler Heinz Jungbluth einen neuen Hochleistungsmotor mit 40 PS an, Heinrich Bartholomes lockte per Annonce Kunden in sein Schuhhaus in "Kempfeld-Nahe".
Anzeigen wie diese drei hatte ein kleines Team Kempfelder Bürger für eine Veranstaltung im Dorfgemeinschaftshaus zusammengestellt. Mit ihrem Café Anno dazumal wollen Jutta Berzborn, Heike Simon, Antje Louis und Peter Probst mit verschiedenen Mitteln an die Entwicklung des Dorfs erinnern: Werbung, historische und aktuelle Fotos (die Heike Simon aufgenommen hatte) und statistische Angaben lassen ein Bild Kempfelds über die Jahrzehnte erstehen, vor allem aber sollen sie die Zuhörer zur Diskussion anregen. Wer kennt dieses Haus, wer kann sich noch an jenen Besitzer erinnern?
Die Idee der vier Kempfelder hat Erfolg: Wie schon ihre erste Veranstaltung, in der sie Privathäuser vorstellten, war auch ihre zweite vor wenigen Tagen - diesmal standen Handwerk und Geschäfte im Mittelpunkt - gut besucht. Man diskutierte, erzählte Anekdoten, setzte sich nach dem knapp einstündigen Vortrag von Jutta Berzborn bei Kaffee und Kuchen zusammen und sprach dort weiter von seinen Erinnerungen. Und gerade dies ist die eigentliche Idee dieser Café-Runden: Der historische Bezug ist nur Mittel zum Zweck, im Grunde geht es darum, die Kommunikation unter Kempfelds Bürgern zu verbessern. Die Idee stand schon beim Erzählcafé im Mittelpunkt, mit dem die Veranstaltungsreihe begann, dann wurde ein Info-Café mit Tipps der Verbraucherberatung organisiert; und jetzt kamen die Bürger zum zweiten Mal ins Café Anno dazumal.
Wer noch fehlt


Jutta Berzborn ist doch nur bedingt zufrieden mit der Zusammensetzung des Publikums. Fast nur ältere Einwohner kamen zu Vortrag und Gespräch ins Gemeinschaftshaus. Aber auch bei Erzähl- und Info-Café vermisste sie zwei Zielgruppen: Junge Kempfelder und die vielen Bewohner des Neubaugebiets, das sich in den vergangenen Jahren stark entwickelt hat, konnten noch nicht mobilisiert werden.
Die frühesten Statistiken, die Jutta Berzborn vorlegte, hat sie aus den Erinnerungen von Reinhold Louis zusammengestellt: 1947 gab es in Kempfeld 113 Häuser mit 528 Einwohnern, 66 Haushalte betrieben Landwirtschaft. 51 Unternehmen gab es damals im Ort, davon allein acht Schleifereien und acht Achatbohrer, drei Lebensmittelgeschäfte, dazu Näher, Schuster, Schmiede und eine Baustoffhandlung. Bei Richard Weyand, einem von zwei Wasser- und Elektroinstallateuren, konnte man auch Fahrräder und Nähmaschinen kaufen.
Heute hat Kempfeld zwar 899 Einwohner, deutlich mehr als vor 66 Jahren, aber nur noch 26 Betriebe haben ihren Sitz im Dorf. Lebensmittelläden (abgesehen von den Spezialgeschäften Metzger und Bäcker) und die Schleifertradition sind passé, dafür gibt es jetzt Busunternehmen, Caravan- und Reifenhandel, eine Bett-und-Bike-Kräuterherberge.
Der wirtschaftliche Niedergang, erklärte Horst Albohr, erster Beigeordneter im Ort, fing mit der Gebietsreform 1969 an: Der Amtssitz wurde von Kempfeld nach Herrstein verlegt, die Bürger aus der Umgebung, die nach den Behördengängen noch ihre Einkäufe im Ort machten, fehlten jetzt, die Zahl der Betriebe ging mit den Jahren zurück. khd

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