Erstes Jugendgefängnis in Europa für 50 000 Mark

Wittlich · Seit 100 Jahren werden jugendliche Straftäter bereits in Wittlich untergebracht. Wie das Gefängnis 1912 zur ersten Haftanstalt speziell für junge Straftäter auf dem europäischen Festland wurde, erzählte Claudia Schmitt 50 Besuchern bei der Besichtigung einer alten Zelle.

 Ganz schön eng: Alfred Könen aus Karl (links) und Klaus Könen aus Osann-Monzel in einem historisch ausgestatteten Haftraum der 100 Jahre alten Jugendstrafanstalt Wittlich. TV-Foto: Holger Teusch

Ganz schön eng: Alfred Könen aus Karl (links) und Klaus Könen aus Osann-Monzel in einem historisch ausgestatteten Haftraum der 100 Jahre alten Jugendstrafanstalt Wittlich. TV-Foto: Holger Teusch

Wittlich. "Das ist sehr bedrückend", sagt Alfred Könen. Er sitzt auf einem Schemel in einer historischen Gefängniszelle eingezwängt zwischen Etagenbett und Tisch und schaut etwas bedripst zum Gefängniswärter auf. Dabei sitzt Könen keine Haftstrafe ab. Er ist einer von denen, die sich einen Abend lang im historischen Gefängnisgebäude über die Geschichte der Jugendstrafanstalt erkundigt haben.
Nach der Fertigstellung 1902 wurde der klassische preußische Gefängnisbau zunächst für zehn Jahre als "Königliches Weibergefängnis" genutzt. Da dieses aber immer weniger ausgelastet war, wie es in einer Schrift des preußischen Justizministeriums von 1917 heißt, wurde es am 1. August 1912 zum ersten Jugendgefängnis auf dem europäischen Festland umfunktioniert.
Dass jugendliche Straftäter anders behandelt werden müssen als Erwachsene, hatte man schon bei der Erstellung des Reichsstrafgesetzbuches von 1871 erkannt. Doch die Praxis im Kaiserreich sah, anders als in den USA und England, nicht zuletzt wegen finanzieller Aspekte doch anders aus. Die Wende kam erst, als der junge Strafrechtler Berthold Freudenthal Geheimrat Carl Krohne bei einer Tagung bei der Ehre packte, erzählt Claudia Schmitt, Leiterin des Kreisarchivs. Er wolle doch die Ehre für die Errichtung von Jugendgefängnissen seinem Nachfolger überlassen, sagte Freudenthal der Erzählung nach zu dem für das preußische Gefängniswesen zuständigen Beamten. Es liege am Geld, erwiderte Krohne. Aber wenn Freudenthal die erforderlichen 50 000 Mark auftreibe, würde er ein Jugendgefängnis einrichten.
Bei der Speyerschen Stiftung fand Freudenthal Unterstützung für das Projekt. Der jüdische Bankier Georg Speyer und seine Frau Franziska förderten schon zu Lebzeiten soziale und wissenschaftliche Projekte. Die mit dem Vermögen des kinderlosen Ehepaars gegründete Stiftung unterstützte beispielsweise den Aufbau der Frankfurter Universität. Der Stiftungsbeirat bewilligte so auch die für das Jugendgefängnis erforderlichen 50 000 Mark.
"Diese ganze Vorgeschichte ist schon sehr interessant", sagt Klaus Könen. Der Mann aus Osann-Monzel ist zum ersten Mal im Wittlicher Gefängnis, aber mit Strafgefangenen hatte er schon öfters zu tun. Sie hätten früher im Weinberg geholfen, erzählt er. Dass der Gefängnisaufenthalt trotz pädagogischer Maßnahmen immer noch eine harte Strafe ist, ist für ihn beim Blick auf seinen Namensvetter Alfred Könen keine Frage. "Wenn hier jemand Platzangst hat, ist er fehl am Platz." teu
Extra

An der grundsätzlichen Zielsetzung im Jugendstrafvollzug habe sich in 100 Jahren wenig geändert, sagt die stellvertretende Leiterin der Wittlicher Jugendstrafanstalt Karin Strieker. Schon 1917 hieß es, dass sie erkennen sollen, dass "jeder einen Einfluss auf seine Lebensgestaltung und Lage hat." Deshalb gab es vor 100 Jahren ein Drei-Klassen-System. Der Aufstieg war an Mitarbeit und Wohlverhalten gebunden und wurde mit Vergünstigungen belohnt. In der ersten Klasse bekamen die Jugendhäftlinge beispielsweise einen Schemel mit Rückenlehne oder einen Spiegel für ihre Zelle. teu

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