Europas Flüchtlingsproblem als Kinderspiel

Dierscheid · Rudi Lehnertz hat viel gesehen und erlebt: Not und Krankheiten, die Schreckensherrschaft von Idi Amin. Der aus Hetzerath stammende Pater spricht von "wir", wenn er über das afrikanische Land redet, in dem er von 1966 bis 2014 lebte.

Dierscheid. Der Beamer, mit dem Rudi Lehnertz im Bürgerhaus von Dierscheid Bilder aus Uganda zeigen will, funktioniert nicht. Nicht schlimm! Der 74-Jährige, der auf Einladung des DRK-Ortsvereins Dierscheid im Ort am Rand des Meulenwalds ist, hat 48 Jahre Afrika-Erfahrung und ist gewohnt, auf Unvorhergesehenes zu reagieren. "Was in Afrika passiert, ist immer auch etwas Glückssache", sagt der "Pater der Weißen Väter" und malt mit Worten ein Bild Ugandas.Zu Bildung verhelfen

Als er 1966 in das Land am Äquator kam, lebten dort neun Millionen Menschen auf einem Gebiet, so groß wie die Bundesrepublik vor der Wiedervereinigung. "Jetzt sind es schon 38 Millionen", erklärt Lehnertz. Der Grund für das große Bevölkerungswachstum: Jede Frau bringt im Schnitt sechs Kinder zur Welt (Deutschland: 1,4). Zudem kommen viele Flüchtlinge aus den Nachbarländern Südsudan oder Kongo. Allein aus dem Norden sind 2014 nach Angaben der Ärzte ohne Grenzen 66 000 Südsudanesen nach Uganda geflüchtet. Lehnertz schätzt, dass ständig eine Million Flüchtlinge in Uganda leben. Zum Vergleich: In Deutschland gab es etwa 170 000 Erstanträge auf Asyl. "Wenn wir in Europa von einem Flüchtlingsstrom reden, ist das gegenüber Afrika wie ein Kinderspiel", sagt Pater Lehnertz.Rund die Hälfte der Ugander sind unter 16 Jahre alt (Deutschland: 14 Prozent). Den vielen Kindern zu Schulbildung zu verhelfen, war eine von Lehnertz\' Aufgaben. 1970 half er beim Aufbau einer Mädchenschule. "Wir haben mit 46 Mädchen angefangen. Jetzt sind es 1600", sagt er.Es war eine schwere Zeit unter Diktator Idi Amin. "Ich hatte in meinem Schrank immer einen kleinen Koffer", erzählt Lehnertz. Als der "Schlächter von Afrika" gestürzt wurde, versank Uganda erst einmal im Chaos. Manchmal habe er sich selbst Hausarrest auferlegt, erzählt Lehnertz. Wirklich Angst habe er aber nie gehabt. Es gab zwar auch einige Ebolafälle und -tote, dank schnell durchgesetzter Schutzmaßnahmen, habe man diese - anders als in Westafrika - in den Griff bekommen. Dabei hat wohl auch die Erfahrung im Umgang mit Aids geholfen. Als eines der ersten Länder Afrikas gab Uganda in den 80er Jahren zu, von der Immunschwächekrankheit betroffen zu sein und setzte auf Aufklärung. "Jedes Theaterstück, jedes Konzert hatte eine Komponente, um über Aids aufzuklären. Es war eine ganz aggressive Kampagne", erzählt Lehnertz. Trotzdem geht man immer noch von fünf bis sechs Prozent HIV-Infizierten aus (Deutschland: 0,1 Prozent).Zuletzt war Lehnertz als "Provinzial" Landesoberer aller Missionare der Weißen Väter in Uganda. Zwar sind rund drei Viertel der Bevölkerung Christen, dass auf seinen Nachfolger aber noch viel Arbeit warte, verdeutlicht Lehnertz an einem Beispiel: "Ein zehn- und ein zwölfjähriges Mädchen kamen zu uns in die Pfarrei, weil sie als Zweit- und Drittfrau verkauft werden sollten - für 64 Kühe."Extra

... Rudi Lehnertz. Was fasziniert sie an Afrika und speziell an Uganda? Lehnertz: Mich fasziniert hauptsächlich nicht die tolle Landschaft, die Berge, die Naturparks, sondern die Menschen. Wie sie uns angenommen haben, wie wir mit ihnen umgehen konnten und wie sie sich für die Erziehung interessiert haben. Die Menschen in Afrika haben mir so viel gegeben an Anerkennung und Liebe. Haben sie schon als Junge und junger Mann daran gedacht, als Missionar nach Afrika zu gehen? Lehnertz: Nein! Ich bin ja vom Land, aus Hetzerath, aus einer Bauernfamilie. Es gab keine Möglichkeit, als Fahrschüler nach Trier auf die Schule zu gehen. Ich wurde deshalb in eine Missionsschule geschickt. Ich wusste als Zehnjähriger nicht, worauf ich mich einließ. Im Laufe der Zeit habe ich Leute kennengelernt, die aus Afrika zurückkamen, und habe mich immer mehr für den Kontinent interessiert. Kurz vor dem Abitur habe ich dann den Entschluss getroffen: Ich mache jetzt da weiter, wo ich bin. Fühlen sie sich mehr als Deutscher oder Ugander? Lehnertz: Ich sitze zwischen zwei Stühlen. Ich fühle mich wegen meiner ganzen Vergangenheit als Ugander und habe noch viele Kontakte. Meine Erfahrung aus Uganda möchte ich auch hier in meine Arbeit einbringen und für Afrika sensibilisieren. Bei den Weißen Vätern in Trier bin ich Ökonom, also für die Hauswirtschaft zuständig. Ich habe mich aber auch zur Verfügung gestellt bei Caritas. Ich möchte mithelfen, besonders, wenn es um Asylanten geht. Und ich mache Aushilfe in den Pfarreien in der Region. Die Fragen stellte Holger Teusch. Extra

Der französische Erzbischof von Algier, Kardinal Lavigerie, gründete 1868 die Missionsgesellschaft. Die Missionare werden wegen ihres weißen Ordensgewands (nicht wegen ihrer Hautfarbe) Weiße Väter genannt. "Unsere Zukunft ist schwarz. 80 Prozent von uns kommen aus Afrika", erklärt Rudi Lehnertz. Die weltweit etwa 1400 Afrikamissionare (davon 145 Deutsche) sollen die Sprache des Landes lernen, in dem sie arbeiten, und die Kultur der Menschen respektieren. "Wir bieten soziale Leistungen und Bildung für jeden der kommt", erklärt Pater Lehnertz die Missionsarbeit. Mit ihrem Vorbild und ihren Taten wollen die Weißen Väter für den christlichen Glauben überzeugen. teu

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