Fahrt in den Tod: Vor 75 Jahren wurden Juden aus Wittlich, Trier und anderen Orten nach Polen deportiert

Wittlich/Neumagen-Dhron · Im April 1942 haben die Nationalsozialisten Menschen aus Wittlich, Trier und der gesamten Region nach Stuttgart und dann nach Izbica deportiert. Ihr Schicksal war damit besiegelt.

Margot Levy hätte in diesen Tagen ihren 80. Geburtstag feiern können. Denn sie wurde am 24. April 1937 in Aach bei Trier geboren. Margot lebte zwar in Aach, aber ihre Mutter stammte aus Neumagen, und zeitweise lebte die kleine Familie auch dort bei der Großmutter und Margots Tante Klara.

Dass Margot heute noch leben und feiern könnte, ist allerdings Illusion. Denn sie wurde bereits, als sie gerade fünf Jahre alt wurde, mit ihren Eltern Josef und Selma ins Durchgangsgetto Izbica bei Lublin deportiert. Weder sie noch ihre Eltern haben dies überlebt.

Izbica - wo liegt das?
Seit Kriegsbeginn 1939 hatte sich die nationalsozialistische Politik immer mehr von einer Vertreibung der Juden aus Deutschland hin zu einer Deportation in den Osten verschoben. Und ab dem Winter 1941/42 ging es immer mehr darum, die Juden endgültig aus dem Weg zu schaffen, durch Erschießen und vermehrt dann durch die Ermordung mit Hilfe von Gas.

Die Juden in den besetzten Ländern Osteuropas waren die ersten, aber bald begann man auch mit den Deportationen aus dem "Großdeutschen Reich" und dem besetzten Westeuropa in den Osten. Die ersten großen Transporte gingen in die Gettos von Lodz, Riga oder Minsk. Auch aus den Orten des heutigen Kreises Bernkastel-Wittlich waren im Oktober 1941 viele ins Getto Litzmannstadt gebracht worden.

Nachdem die Wannsee-Konferenz die "Endlösung der Judenfrage" bestätigt und die Umsetzung beschlossen hatte, begann im Frühjahr 1942 eine neue Welle der Deportationen. Viele dieser Transporte gingen nach Izbica oder andere Orte im Distrikt Lublin, der zum "Generalgouvernement" gehörte. So nannte man den Rest Polens, der nach dem Willen der Eroberer zwar nicht in das "Großdeutsche Reich" eingegliedert werden, aber dennoch langfristig von Deutschen besiedelt werden sollte. Im "Generalgouvernement" lagen die großen Mordstätten Bezec, Sobibór und Treblinka, in denen Millionen von Juden umgebracht wurden.

Izbica - 55 Kilometer südöstlich von Lublin in Polen - war eine Durchgangsstation, ein Getto in einer kleinen Stadt, die immer schon eine hohe jüdische Bevölkerungsrate hatte. Dorthin kamen nun, neben den polnischen Juden, Tausende von Juden aus dem Westen. Die Stadt lag für die Zwecke der Nationalsozialisten günstig an einer Bahnstrecke und war leicht zu bewachen.

Und vor allem: Der Ort war gut geeignet, von dort immer wieder Transporte in die Mordstätten zu schicken. Denn dort war alles nur auf den Mord ausgerichtet, es gab keinerlei Unterbringungsmöglichkeiten.

So wurden auch hier, wie vielerorts, zunächst die polnischen Juden dorthin gebracht und ermordet, und die Westjuden kamen für kurze Zeit in die Wohnstätten des Gettos, auch in die Synagogen. Die Verhältnisse waren katastrophal, und viele starben an Ort und Stelle.

Der Transport
Aus Luxemburg, Trier und dem Trierer Umland und auch aus Wittlich wurden Menschen zu einem Transport zusammengebracht, der am 24. April 1942 zunächst nach Stuttgart und schließlich mit rund 1000 Menschen weiter nach Izbica fuhr.

Aus der Stadt Wittlich als einzigem Ort im Kreis kamen sieben Personen dazu: Josef und Emma Dublon mit ihrer Tochter Ingeborg, Adolf Ermann, die Geschwister Salomon und Nanette Ermann und Edmund Mendel. Sie alle hatten zuletzt im so genannten "Judenhaus" in der Oberstraße 54 auf engem Raum leben müssen. Kurz darauf schon informierte die Außenstelle der Gestapo in Wittlich das Finanzamt über die erfolgte "Evakuierung". Die Vermögenserklärungen waren bereits vorher eingegangen, der Schlüssel für das Zimmer mit den "Judensachen" läge bereit. Damit konnte vor Ort der letzte Akt der Ausraubung des Vermögens beginnen.

Edmund Mendel war alleine zurückgeblieben, nachdem seine Geschwister und Familienangehörigen schon alle im Herbst 1941 deportiert worden waren. Auch seine Zwillingsschwester Camilla, mit der er ein Leben lang zusammengelebt und im Haus Himmeroderstraße 46 (heute das Ausstellungsgebäude neben der ehemaligen Synagoge) gewohnt hatte, war bereits ins Getto Litzmannstadt deportiert worden und starb dort im Juni 1942. Edmund hatte eine angeborene Gehbehinderung; er führte bis 1936 einen kleinen Tabakladen in der Himmeroderstraße.

Die bei ihrer Deportation siebzehnjährige Ingeborg Dublon hatte, wie auch ihre Schwester Ruth, verschiedene Stationen der "Hachschara", der Vorbereitung auf eine Auswanderung nach Palästina, hinter sich gebracht, war aber dann im August 1941 nach Wittlich zurückgekehrt. Aber weder ihr noch ihrer Schwester gelang es, Deutschland rechtzeitig zu verlassen.

Die Menschen
Adolph Ermann war alleine in Wittlich geblieben, nachdem seine Frau Dora und sein Sohn Manfred die Stadt im Juni 1939 Richtung Belgien verlassen hatten. Das Schicksal seines Sohnes bleibt unklar. Dora Ermann wurde nach Südfrankreich deportiert, dort im Lager Les Milles inhaftiert und im September 1942 über das Sammellager Drancy nach Auschwitz-Birkenau gebracht und ermordet. Ihr Mann war zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich schon tot. Er wurde wie die anderen nach Izbica Deportierten nach kurzer Zeit in die Mordstätte Belzec gebracht und ermordet.
Nanetta und Salomon Ermann, der unter einem Kriegstrauma litt, mussten ihren alten Vater Meyer Ermann in Wittlich zurücklassen. Er blieb bis zum Juli 1942 und wurde mit den letzten Juden aus Wittlich und dem Kreis ins Getto Theresienstadt deportiert. Dort starb er mit 87 Jahren im September 1942.

Auch aus anderen Orten wurden Juden, die ihre Wurzeln im Kreis Bernkastel-Wittlich hatten, im Frühjahr 1942 nach Izbica deportiert. Aus Koblenz waren dies unter anderem Mathilde Dublon und Betty Kaufmann aus Wittlich.
Aber auch Eugen Frank, der Bruder des langjährigen Synagogenvorstehers Emil Frank, wurde mit seiner Frau im April 1942 aus Krefeld dorthin gebracht und ermordet.

Emma Baum stammte aus Lieser. Als die Situation dort immer schwieriger wurde, ging sie 1940 nach Wuppertal, wo sie einen gelähmten Mann betreute.

Der Brief
Eine Woche vor ihrer Deportation schrieb sie noch einen Brief nach Lieser: "Mich hat nämlich jetzt auch dasselbe Schicksal ereilt wie Erna, am Dienstag den 21. muss ich leider, leider weg von hier. Wohin es geht , wissen wir noch nicht. Und was das Schlimmste dabei ist, ich muss, natürlich mit vielen anderen allein weg und Herrn Auerbach, der ja gelähmt ist, zurücklassen. Er kommt in ein Heim. Ist das nicht traurig? Gestern erhielt ich die Nachricht und könnt ihr euch denken wie mir und Herrn A. zu Mute ist."

Keiner von denen, die im Frühjahr 1942, vor 75 Jahren, nach Izbica und dann weiter in die Mordstätten des Ostens deportiert wurde, hat dies überlebt.Extra: THEOLOGIN UND EHEMALIGE MITARBEITERIN IM EMIL-FRANK-INSTITUT

 Auch in der Oberstraße 56 waren damals jüdische Bürger untergebracht.

Auch in der Oberstraße 56 waren damals jüdische Bürger untergebracht.

Foto: (m_kreis )

(red) Marianne Bühler (Jahrgang 1949) ist Theologin, war in den Jahren von 1997 bis 2007 pädagogische Mitarbeiterin im Emil-Frank-Institut. Sie ist Mitarbeiterin im Arbeitskreis "Jüdische Gemeinde Wittlich". Sie hat zur Lokal- und Regionalgeschichte der Juden geforscht und Werke veröffentlicht. Zuletzt erschienen: Letzte Jahre. Das Schicksal der deportierten Juden aus dem Kreis Bernkastel-Wittlich in der Zeit von 1933-1945, Trier 2016.

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