Fast zu schön, um wahr zu sein

WITTLICH. (peg) Individualisten mit der Fähigkeit zur absoluten Harmonie: Das Leipziger Streichquartett beschenkte die Zuhörer mit einem Oktett von Mendelssohn-Bartholdy und vier weiteren exzellenten Musikern.

Zum dritten Mal gastierte das Leipziger Streichquartett in der Synagoge. Und wieder beglückte es seine Zuhörerschaft, diesmal sogar mit einem speziellen Wunschkonzert: Als die vier Musiker sich nach ihrem zweiten Konzert in Wittlich vom Musikkreis verabschiedeten, hatte der sich das Oktett in Es-Dur von Mendelssohn-Bartholdy bestellt. "Dieses Stück wird äußerst selten gespielt", erläutert Ulrich Jaekel aus dem Vorstand des Musikkreises, "weil dafür zwei Streichquartette nötig sind." Das Zusammenspiel zweier Quartette erfordert nicht allein die Präzision, die für jedes gelungene Musikstück ohnehin notwendig ist, sondern daneben ein fast organisches Aufeinandereingehen unter Kollegen, das sich meist erst durch ein langjähriges gemeinsames Spiel einstellt. Nicht so bei den Leipzigern. So sehr sie Individualisten sein mögen, und zwar in charakterlicher und musikalischer Hinsicht, so sehr üben sie ihre hohe Kunst auch "demokratisch" aus, wie Jaekel es ausdrückt. Man kommuniziert privat wie auch auf der Bühne untereinander, schaut den Nachbarn auf die Finger, man gibt sich gegenseitig mit den Augen den Einsatz, lächelt sich aufmunternd an, wenn eine Nuance der Interpretation besonders gut gelungen ist, zwinkert sich sogar zu, um der eigenen Freude Ausdruck zu verleihen. Dieser Funke der Freude sprang vom ersten Takt an auf das Publikum über. 150 Gäste genossen den Konzertabend, dessen erste Hälfte das 1988 gegründete Quartett mit Musik von Mozart und Schubert allein gestaltete. Die souveräne Leichtigkeit des Vortrags von Andreas Seidel, Thomas Brüning (Erste und Zweite Violine), Ivo Bauer (Viola) und Matthias Moosdorf (Violoncello) ließ vergessen, wie viel Arbeit Komponisten und Musiker investieren müssen, bevor Meisterwerke dieser Klasse gespielt werden können. Nach der Pause bezogen sie zu acht Aufstellung: In Yamei Yu, Stefan Arzberger (beide Violine), Hartmut Rohde (Viola) und Michael Sanderling (Violoncello) hatten die Leipziger Spitzen-Kollegen rekrutiert, denen es gelang, nun als Doppelquartett eine gemeinsame neue Einheit zu formen. Yamei Yu spielte bereits als Solistin unter Yehudi Menuhin, Arzberger ist stellvertretender erster Konzertmeister des Gewandhauses Leipzig, Rohde Träger des Echo-Klassik-Preises 2003, Sanderling dirigiert hochkarätige Orchester und gilt als einer der meist gefragten Cello-Lehrer. Die Stimmigkeit der einzelnen Instrumente untereinander war zu jeder Sekunde spürbar. Ob leichte, flimmernde, flirrende Klänge wie im Scherzo des Oktetts, in dem bereits die Musik des "Sommernachtstraums" anklingt, die der 17-jährige Mendelssohn- Bartholdy erst ein Jahr später schreiben sollte, oder andere heftige und überschäumende Passagen gerade in den Ecksätzen, deren Dramatik im begrenzten Raum der ehemaligen Synagoge bis an die Grenze des Durchführbaren ging: Bei jeder Note hatten sie selbst Freude und bereiteten die selbe den Zuhören. Die suchten am Ende nach Worten für das, was sie gehört und empfunden hatten. Überwältigend, phänomenal, zutiefst angerührt, unglaublich, exzellent, Weltklasse: Vokabeln, die eine blasse Vorstellung von dem Musikerlebnis vermitteln, das die Leipziger und ihre Freunde dem Publikum bescherten. Wer das Konzert verpasst hat, muss sich nicht ärgern. Jaekel verspricht, dass es ein Wiedersehen in Wittlich geben wird.

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