Fit für die Zukunft

WITTLICH. In der Behinderteneinrichtung Maria Grünewald leben und lernen über 130 geistig behinderte Menschen. Ziel ist, die Bewohner nach Möglichkeit auf eine selbstständige Lebensgestaltung vorzubereiten, um sie später in die eigene Außenwohngruppe zu entlassen.

 Keine Schwierigkeiten: Für Karin und Tobias sind alltägliche Erledigungen wie Einkaufen kein Problem. Dass schnell ein geeignetes Haus für ihre WG in der Innenstadt gefunden wird, ist ihr größter Wunsch. Foto: Torsten Lauterborn

Keine Schwierigkeiten: Für Karin und Tobias sind alltägliche Erledigungen wie Einkaufen kein Problem. Dass schnell ein geeignetes Haus für ihre WG in der Innenstadt gefunden wird, ist ihr größter Wunsch. Foto: Torsten Lauterborn

"Jetzt noch Tomaten, Mozzarella und Basilikum", stellt Tobias nach kurzem Blick auf seine Einkaufsliste fest. Gekonnt und zielgerichtet lenkt er den Einkaufswagen durch die Gänge des Supermarkts, denn hier – wie auch in der ganzen Stadt – findet sich der 22-jährige Wittlicher problemlos zurecht. Er kann lesen, schreiben und weiß, wo es lang geht. Er bewältigt den Alltag mit einer besonders ausgeprägten Eigenständigkeit und kann auf Unterstützung weitestgehend verzichten. Selbstverständlich ist das nicht, denn Tobias ist Bewohner der Behindertenhilfeeinrichtung Maria Grünewald. Die liegt außerhalb Wittlichs, mitten im Wald, etwa vier Kilometer vom Zentrum entfernt. Tobias bewältigt den Alltag selbstständig

Muss er wie heute etwa zum Einkaufen in die Kreisstadt, ist Tobias auf fremde Hilfe angewiesen. Ohne die freiwilligen Fahrdienste der Mitarbeiter und Betreuer geht nichts – und genau das ist seine größte Behinderung. Das Leben außerhalb der Stadt ist seinem tatsächlichen Entwicklungsstand nicht mehr angemessen und soll schnellstens ein Ende haben. Für eine selbstbestimmte Zukunft direkt in Wittlich ist der junge Mann bestens gerüstet.Tobias ist ein gewöhnlicher junger Mann. Er geht täglich seiner Arbeit nach, verdient sein eigenes Geld und weiß, was gut schmeckt: Heute Abend wird er sich zusammen mit Mitbewohnerin Karin eine Pizza leisten. Den Schokopudding zum Nachtisch haben sie bereits gefunden, und auch die Flasche Cola liegt schon im Korb. Zusammen mit Karin und zwei weiteren jungen Erwachsenen lebt er in einer Wohngemeinschaft auf dem Grünewaldgelände.Montags bis freitags arbeitet Tobias zwischen 8 und 16 Uhr in den Werkstätten auf dem Bernkastel-Kueser Plateau. Abends und am Wochenende spielt er Fußball, fährt mit dem Rad, schaut Filme oder hört Musik. Auch einen eigenen Computer hat er in seinem Zimmer, doch der wichtige Internetanschluss fehlt – noch. Im Unterschied zu den übrigen Bewohnern besitzen Tobias und Karin besonders ausgeprägte lebenspraktische Kompetenzen und bewältigen ihren Alltag sehr selbstständig. Dazu gehört auch die Versorgung mit Lebensmitteln, denn in der großen Gemeinschaftsküche Maria Grünewalds trifft man die beiden nicht an. Um Frühstück und Abendessen kümmern sie sich persönlich. Einkaufstouren wie die heutige stehen daher ständig auf dem Programm.Um allen vier Mitgliedern der Wohngemeinschaft den endgültigen Schritt zur Selbstständigkeit zu ermöglichen, soll möglichst bald ein Platz in der Stadt gefunden werden. Eine große Wohnung oder ein Haus wollen sie sich schon demnächst teilen und damit ihre eigene "Außenwohngruppe" in der Innenstadt gründen. Die Abhängigkeit von ihren Betreuern wäre dann Vergangenheit, und lästige Fahrten mit dem Auto würden überflüssig. Die Suche nach einer geeigneten Bleibe hat längst begonnen, ist aber nicht einfach. "Wenn wir vor der Türe stehen, sind sich viele unsicher", weiß Marlene Probst zu berichten. Die Erzieherin arbeitet seit über einem Jahrzehnt in Maria Grünewald und ist zusammen mit Claudia Schultheiß für die Gruppe zuständig. Obwohl man eigentlich keine besseren Mieter finden könne, sei die Wohnungssuche äußerst schwierig. "Die Miete kommt bei uns garantiert pünktlich, und in Sachen Sauberkeit und Hygiene sind wir nur schwer zu schlagen. Bewohner und Betreuer sorgen täglich für die Ordnung in den Zimmern und werden wöchentlich von einer professionellen Reinigungskraft unterstützt", erzählt Probst weiter.In Maria Grünewald hat man Erfahrung mit der besonderen Wohnform. Die neue Außenwohngruppe wäre bereits die zweite in Wittlich, denn schon in der Trierer Landstraße leben vier Männer und Frauen in einem gemeinsamen Haushalt. Jeder im eigenen Raum, gemeinsam teilen sie Wohnzimmer, Büro, Küche und Bad. Die Nachbarn seien hellauf begeistert, verrät Probst.Das außergewöhnliche Angebot richtet sich an Menschen, die leicht oder mittelgradig behindert sind und deren Beeinträchtigungen ein rund um die Uhr betreutes Leben im Wohnheim nicht mehr unbedingt nötig machen. Die Gruppenstärke orientiert sich an der üblichen Tischgemeinschaft, und genau diese Gemeinschaft hat in den Außenwohngruppen einen sehr hohen Stellenwert. Eigenständigkeit und Verantwortungsbewusstsein können hier hervorragend entwickelt werden. Hauseigene Disco und viel Sport

Die Mitarbeiter aus Grünewald begleiten die "Aussteiger" und stehen nach wie vor bei allen lebenspraktischen Belangen zur Seite. Auch nach dem Umzug werden die Bewohner wie immer am Morgen zur Arbeitsstelle gefahren und können sich weiterhin an den Freizeitangeboten Maria Grünewalds beteiligen. Diverse Sportaktivitäten oder die hauseigene Disco sind nur zwei davon, die sich immer auch über Gäste und Besucher von außerhalb freuen. Alle Jahre wieder ein Highlight ist zudem das Sommerfest mit "Rock im Wald", wo die eigene Band "Mary Greenwood" unvergessliche Konzerte abliefert. Tobias ist als Songtexter wichtig für die Gruppe, deren "Wir sind Leute"-Tour derzeit läuft. Nach dem Auftakt in Bad Bertrich am vergangenen Wochenende sind neben Trier und Mainz sogar Flensburg, Kiel und Hamburg weitere Stationen. Weitere Infos: www.marygreenwood.de

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