Fünf Damen – fünf Aufgaben

MOSKAU/TRIER. TV-Mitarbeiter Johannes Aumüller aus Trier ist für ein Auslands-Semester nach Moskau gereist. In unregelmäßigen Abständen schreibt er über Kurioses und Interessantes aus der 13-Millionen-Metropole.

Da klage noch mal jemand über die deutschen Beamten. Von wegen "bürokratisch" und so. Auch hätte sich Reinhard Mey seine Zeilen über einen "Antrag auf Erteilung eines Antragformulars" wohl besser gespart - oder für die Verarbeitung eines Russland-Aufenthaltes aufgehoben. Es ist wirklich unglaublich. Mein Portemonnaie quillt über mit Bescheinigungen ("spravki") und Bescheinigungen für Bescheinigungen. Ein gutes Dutzend an Anträgen habe ich in drei Tagen gestellt - und in dieser Zeit habe ich verstanden, warum der Moskauer Bürgermeister vor kurzem damit protzen konnte, in seiner Stadt gebe es nur 0,6 Prozent Arbeitslosigkeit. Zum Beispiel im Studentenwohnheim: Für das Ausfüllen des Durchgangskärtchen ist eine Dame zuständig, für das Vorlesen der Hausregeln eine andere, für das Kassieren der Miete eine dritte, Nummer vier erklärt einem noch einmal die Hausregeln und zusätzlich die richtige Verhaltensweise im Notfall, und Nummer fünf sitzt den ganzen Tag in ihrem Büro, um allen Studenten mitzuteilen, dass Fernseher und Kühlschränke momentan nicht zur Verfügung stehen. So hat jeder seinen Job - und jeder jede Menge Zeit, wenn es darum geht, die Wünsche der Studierenden zu erfüllen. Und selbstverständlich darf der einfache Student nicht einfach nach Belieben diese Damen aufsuchen, sondern von der ersten erhält er am Ende des Gespräches einen Zettel, mit der er die zweite aufsuchen kann, bei der zweiten einen für die dritte und so weiter. Und weil die Öffnungszeiten der einzelnen Büros sehr knapp gehalten sind, kommt es vor, dass es manchmal etwas länger als geplant dauert, ehe man die letzte der Damen aufsuchen kann und die letzte Bescheinigung erhält (studiert wird nebenbei ja auch noch). Geduld ist eben gefragt in Russland. Allerdings nicht immer. Zum Beispiel dann nicht, wenn es ums Bezahlen geht: Bitte morgen 30 000 Rubel vorbeibringen, weil es eilt - aber den endgültigen Ausweis, den gibt's später, ist ja nicht so wichtig, und außerdem bis dahin eine Bescheinigung, das man den Antrag auf den Ausweis gestellt hat. Johannes Aumüller

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