Gefühl von Befreiung
Am 19. März 2005 jährte es sich zum 60. Mal, dass Wirschweiler und seine Nachbardörfer ohne schwere Kämpfe von Amerikanern besetzt wurden. Pfarrer Petry war zu dieser Zeit Soldat. Frau Petry, Pfarrfrau in Wirschweiler, lebte mit ihren vier Töchtern in dem großen Pfarrhaus vor der Kirche. Sie berichtet über die Ereignisse wie folgt: In der Nacht vom 14. zum 15. März weckte mich einer unserer Soldaten, da sie in der Frühe um fünf Uhr abrücken mussten. Dieser Aufbruch war ein sicheres Zeichen, dass uns die Front sehr nahe gerückt war. Wir richteten alles darauf ein, einige Tage im Keller zu hausen. Den größten Teil der Möbel hatten wir nach unten geschafft, um bei Artilleriebeschuss jedenfalls einiges im unteren Stockwerk zu haben. In der folgenden Nacht hörte man unaufhörlich unsere Truppen zurückgehen, Pferdegespanne, Kraftfahrzeuge und so weiter. Spät am Abend kam noch eine Gruppe Volkssturmmänner, die untergebracht werden musste. Elf Mann kamen zu uns ins Gemeindezimmer. Ich kochte ihnen noch schnell Kaffee, da sie ganz verfroren waren. Am folgenden Tag war lebhafte Fliegertätigkeit. Unsere Truppen fluteten unaufhörlich durch unsere Dörfer zurück. Inzwischen verstärkte sich der Beschuss durch Jabos über Allenbach. Wir saßen im Keller, stellten aber zwischendurch fest, dass es in Allenbach brannte. Nach zwei Stunden wurde es endlich wieder etwas ruhiger. Wir stellten vom Speicher aus zwei Brandstellen in Allenbach fest.Verkohlte Soldaten am Straßenrand
Tote gab es unter den Zivilisten nicht, aber drei Soldaten lagen verkohlt an der Straße. Vor der Nacht kamen noch einmal vier Soldaten und baten darum, in unserer Küche schlafen zu dürfen. Meine Betten und das Chaiselongue waren belegt durch Allenbacher Leute, die sich nicht trauten, in Allenbach zu schlafen. Wir machten für die Soldaten ein Strohlager. In der Nacht mussten sie schon weiter. Nur einer blieb zurück, um hier die Amerikaner abzuwarten. Er blieb bis Sonntag gegen Abend. Der Tag verlief unheimlich ruhig, weder Artillerie noch Flieger waren zu hören. Aber allerlei Gerüchte gingen um, dass der Ami bei Hüttgeswasen oder an der Idarbrücke sei. Der Montagmorgen verlief ebenso ruhig. Man wusste nicht, woran man war. Ich sah mir in Allenbach die Brandschäden an. Gegen 11 Uhr erschien plötzlich ein langsam fliegender Flieger, der immer über Allenbach und Wirschweiler kreiste, besonders über den Panzersperren. Es war der Artilleriebeobachter, und wir wussten, dass es der letzte Vorbote der Amerikaner war. Gegen 14.30 Uhr kamen Allenbacher Kinder und sagten: Die ersten Panzer sind im Dorf. Vom Speicherfenster aus sahen wir auf der Chaussee Panzer an Panzer rollen. Und dann kamen die ersten Wagen nach Wirschweiler herauf. Wir standen an der Haustür, als die Panzerspähwagen ins Dorf fuhren. Nachdem festgestellt war, dass kein Soldat im Dorf und alle Waffen abgegeben waren, wurde die Einnahme unseres Dorfes gefunkt. Ein eigenartiges Gefühl von Befreiung und neuer Belastung überkam uns. Alle waren nur dankbar für die reibungslose Abwicklung der Dinge. Am Dienstag kamen Truppen ins Dorf. Mehrere Häuser mussten geräumt werden, um der amerikanischen Einquartierung Platz zu machen. Wir blieben verschont. Abgeschlossen von aller Welt
Am nächsten Tag wurde die Sperrzeit auf 18 Uhr und bald auf 19 Uhr festgesetzt. Im übrigen verhielten sich die Truppen korrekt. Hier und da gab es Hausdurchsuchungen. Bei uns nicht. Am schwersten konnte man sich mit dem Gedanken vertraut machen, dass man nun von aller Welt abgeschlossen war, nicht mehr schreiben konnte, um allen mitzuteilen, dass wir alles gut überstanden hatten. Am Mittwoch, 21. März, fanden trotz des Militärbetriebs die Prüfung der Konfirmanden und am Palmsonntag in Allenbach ihre Konfirmation statt, deren Feier nur durch die an der Kirche vorbeirasenden Panzer und Geschütze gestört wurde. Wir waren trotz allem dankbar, dass die Feier noch in dieser Weise gehalten werden konnte. Am 24. März zogen die Amerikaner weiter. Seitdem blieb es ruhig. Nur die unaufhörlich unsere Dörfer überfliegenden Flugzeuge verrieten die Heftigkeit der Kämpfe jenseits des Rheins. Ostern konnten wir in aller Ruhe feiern. Wann würden wir einmal wieder Nachricht von den Unseren erhalten? Ergänzend zu dem ausführlichen Bericht von Frau Petry möchte ich noch einige Begebenheiten hinzufügen, die mir meine Mutter, Gisela Paulus, geborene Theis, berichtet hat. Meine Mutter war unter den Konfirmanden, die in der Wirschweiler Kirche geprüft wurden. Während der Prüfung ging die Kirchentür auf, und einige Amerikaner traten auf ihren gummibesohlten Schuhen kaum hörbar ein, natürlich mit vorgehaltenem Gewehr. Emil Juchem, dessen Tochter auch unter den Prüflingen war, nahm sich der Amerikaner an und konnte sie bewegen, die Kirche zu verlassen. Nach der Konfirmation in Allenbach, an einem Sonntag mit klarblauem Himmel, gingen die Konfirmanden mit ihren Angehörigen nach Wirschweiler. Über ihnen zogen am Himmel ungezählte Flugzeuge nach Osten. Im Bombenhagel den Sohn verloren
Christel Juchem wurde von seiner Patentante, Ottilie Paulus, begleitete. Angesichts der Flieger, die mit großem Gedröhne ihre todbringende Last über den Rhein trugen, sagte Leyendeckersch Tille: Wo mag nur unser Bub sein? Sie meinte damit ihren Sohn Erwin, der, was sie nicht wissen konnte, schon am 22. März 1945 unter einer solchen Bombenlast am Neckar umgekommen war. Ferner erzählte meine Mutter mir, dass die Einwohner vor dem herannahenden Feind allerlei Vorkehrungen trafen. So brachten sie Pakete mit Butter und andere Lebensmittel in den sicheren Keller. Zuvor hatten sie die Fahne, das Hitlerbild, das ja fast in jedem Haus hing, und einige Bücher im Backofen verbrannt. Wolfgang Paulus (Quellen: Privatarchiv W. Paulus, Wirschweiler)