Einheimischentarif Gegen EU-Recht? Unterschiedliche Gebühren in Orten im Kreis Bernkastel-Wittlich

Dreis/Brüssel · Gemeindehallen, Grillhütten, Bürgerhäuser: Einheimische zahlen in mehreren Kommunen im Kreis weniger Miete als „Ortsfremde“ oder EU-Ausländer. Doch mit der jahrzehntelangen Praxis könnte bald Schluss sein.

 Weil auswärtige Gäste mehr bezahlen müssen für die Nutzung von Grillhütten als Einheimische, verstoßen die Gebührensatzungen mancher Gemeinden im Landkreis Bernkastel-Wittlich offenbar gegen geltendes EU-Recht.

Weil auswärtige Gäste mehr bezahlen müssen für die Nutzung von Grillhütten als Einheimische, verstoßen die Gebührensatzungen mancher Gemeinden im Landkreis Bernkastel-Wittlich offenbar gegen geltendes EU-Recht.

Foto: dpa/Hendrik Schmidt

Die EU befasst sich nicht nur mit dem Krümmungsgrad von Gurken, worüber immer gerne gespottet wird. Eine Vielzahl an Verordnungen und Verträgen  sollen den Handel zwischen den 28 Mitgliedsstaaten regeln und kontrollieren, wobei die berühmte Gurkenverordnung mittlerweile außer Kraft gesetzt wurde. Gegen einen bislang immer noch gültigen Vertrag und damit geltendes EU-Recht hat der Ortsgemeinderat Dreis verstoßen – wahrscheinlich ohne es zu wissen.

Einheimischentarif Wie kommt es dazu? Weil man im Februar eine neue Beschallungsanlage für die Dreyshalle angeschafft hatte, kam der Ortsgemeinderat nun auf die Idee, die Mietgebühren für die Halle zu erhöhen. Denn irgendwie müssen die Investitionskosten in Höhe von 21 300 Euro, die man für die Lautsprecheranlage auf den Tisch gelegt hat, ja wieder rein kommen. So weit – so gut. In der Gebührensatzung unterscheidet die Gemeinde jedoch zwischen „Ortsansässigen“ und „nicht Ortsansässigen“.

Wenn ein Bürger aus Dreis die Dreyshalle mietet, um dort beispielsweise einen Geburtstag zu feiern, dann verlangt die Gemeinde in ihrer Gebührensatzung dafür 600 Euro. Bürger aus Wittlich  sowie Bewohner des restlichen EU-Gebietes müssen laut Satzung hingegen 800 Euro auf den Tisch legen, um die Veranstaltungshalle zu mieten. Die Dreiser genießen also gegenüber den Bewohnern des restlichen EU-Gebietes einen günstigeren Einheimischentarif. Der TV hat diese für Einheimische überaus vorteilhafte Gebührensatzung der Gemeinde Dreis einem Experten vorgelegt.

Experte Der Wittlicher Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Dr. jur. Karl Josef Ulmen, bewertet die  gebührenrechtliche Ungleichbehandlung von Gemeindemitgliedern und Auswärtigen  in der Gebührensatzung als äußerst bedenklich. Ulmen: „Diese Regelung verstößt sowohl gegen Artikel 3 des Grundgesetzes als auch wegen seiner Diskriminierung von EU-Ausländern gegen den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union.“

Eine ungleiche Behandlung von Gemeindebürgern und Auswärtigen sei zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, sagt Ulmen, allerdings sei diese nur dann zulässig, wenn durch sachliche Gründe gerechtfertigt. Zulässige Gründe könnten beispielsweise die Verursachung eines höheren Aufwandes durch Auswärtige sein. Ulmen: „Der Grund, der in der Dreiser Satzung zu einer gebührenrechtlichen Ungleichbehandlung von Einheimischen und Auswärtigen geführt hat und der Zweck, der damit verfolgt wird, lassen sich aus der Satzung selbst nicht entnehmen. Er ist auch nicht ohne weiteres erkennbar.“

Da nicht ersichtlich sei, dass die Ortsgemeinde mit der Differenzierung legitime Ziele und Zwecke verfolge, sei die Gebührensatzung als äußerst kritisch zu bewerten, sagt der Experte. Grundsätzlich gilt nach europäischem Recht, dass jeder EU-Bürger, ob er nun in London, Morbach oder Dreis wohnt,  Dienstleistungen in jedem EU-Land und Ort zu denselben Bedingungen und damit auch zum selben Preis in Anspruch nehmen können muss. Für die Miet- und Eintrittspreise von Gemeindehallen, Grillhütten, Museen, öffentlicher Schwimmbäder oder Theater gibt es da keine Ausnahme.

Kein Einzelfall Es muss gesagt werden, dass Dreis mit seinen Einheimischentarifen im Kreis Bernkastel-Wittlich keinen Einzelfall darstellt. Wer sich die Mühe macht und im Internet veröffentlichte Gebührensatzungen anderer Orte im Landkreis durchforstet, der wird auch in vielen anderen Gemeinden fündig werden – wobei nur wenige Gebührensatzungen zur Mietung kommunaler Immobilien im Internet einsehbar sind. Bei einer kurzen Stichprobe konnten beispielsweise auch noch in Klausen und Piesport nach EU-Recht illegale Gebührensatzungen gefunden werden. So zahlen beispielsweise Bürger der Ortsgemeinde Piesport für die Nutzung des Bürgerhauses am Ausoniusufer pro Tag 75 Euro, „Ortsfremde“ hingegen 150 Euro.

Verwaltung Es stellt sich die Frage, wie solche Verstöße gegen EU-Recht auf kommunaler Ebene im Jahre 2019 überhaupt noch möglich sind. Denn so neu sind die Europäische Gemeinschaft und der „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“, der 2009 in Kraft getreten ist, ja nun auch nicht mehr.

Schauen die Verbandsgemeindeverwaltungen, welche die Gemeinden bei ihren Verwaltungstätigkeiten unterstützen sollen, ihren Kommunen nicht akribisch genug auf die Finger? Müsste die Kommunalaufsicht der Kreisverwaltung bei offensichtlich krummen Gebührensatzungen nicht tätig werden? Der TV hat nachgefragt.

Kommunalaufsicht „Die Änderung der Gebührensatzung in Dreis ohne Berücksichtigung des geltenden EU-Rechts war der hiesigen Kommunalaufsichtsbehörde nicht bekannt“, erklärt Manuel Follmann, Pressesprecher der Kreisverwaltung Bernkastel-Wittlich. „Soweit die Gemeinden und Verbandsgemeinden Gebühren in den vorlagepflichtigen Haushaltssatzungen regeln, hat die hiesige Kommunalaufsicht in den letzten Jahren rechtswidrige Differenzierungen zwischen Ortsansässigen und Ortsfremden ausräumen können.“ Aufgrund der erhaltenen Unterlagen werde die Kommunalaufsichtsbehörde die Verbandsgemeindeverwaltung Wittlich-Land unter erneutem Hinweis auf die Rechtslage in Bezug auf den Umgang mit Ortsansässigen und Ortsfremden in Gebührensatzungen um Stellungnahme bitten, sagt Follmann. Dabei habe die Kommunalaufsicht die hauptamtlichen Verwaltungen bereits im Jahre 2015 mit einem Rundschreiben umfassend über das Thema Gebührensatzungen und geltendes EU-Recht  und notwendige Anpassungen ihrer Gebührensatzungen informiert.

Verbandsgemeinden Die VG Wittlich-Land, die auch der Ortsgemeinde Dreis verwaltungstechnisch unter die Arme greift, erklärt auf TV-Anfrage, man werde nun alle Satzungen der Ortsgemeinden hinsichtlich solcher Einheimischentarife so schnell wie möglich prüfen und „alte Satzungen gegebenenfalls revidieren“. In der VG Bernkastel-Kues, in der auch Piesport liegt, habe es nur in der Vergangenheit in wenigen Einzelfällen  Differenzierungen in der Gebührenbemessung für Einheimische und andere Bürger gegeben, erklärt die Pressestelle. „Insoweit gehen wir davon aus, dass alle Satzungen im Bereich der Verbandsgemeinde Bernkastel-Kues insoweit bereinigt sind und keine dem EU-Recht widersprechende Regelungen mehr enthalten.“ Die Gemeindeverwaltung Morbach sowie die Verbandsgemeindeverwaltung Thalfang erklären, alle Satzungen seien konform des Grundgesetzes und auch des EU-Rechts verfasst.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort