Gerauft wird nur nach Regeln

Die Grundschule in Kues beteiligt sich an einem Förderprogramm für Jungen. Anfangs ließen manche von ihnen ihre Aggressionen am Boxsack aus, mittlerweile fassen sie sie eher in Worte.

Bernkastel-Kues. "Die Boxhandschuhe liegen immer bereit", titelte der TV vor 14 Monaten einen Bericht über die Cusanus-Grundschule in Bernkastel-Kues. Wer glaubt, dass dort ungezügelte Gewalt herrschte, liegt falsch. Geboxt wurde unter Aufsicht der Schulsozialarbeiterin Andrea Stablo an einem Sandsack.

Die Möglichkeit sich abzureagieren, ist Bestandteil des Projekts "Geschlechtersensible Ganztagsschule". Gemeinsam mit zwei weiteren Schulen in Idar-Oberstein und Neuwied war die Schule in Bernkastel-Kues (196 Schüler, davon 120 ganztags) vom rheinland-pfälzischen Bildungsministerium für das Projekt ausgewählt worden.

Hintergrund: Jungen im Grundschulalter tun sich, so alle Erkenntnisse, schwerer als Mädchen. Das betrifft unter anderem die Sprachentwicklung. Immer mehr Jungen wachsen außerdem ohne Vater auf. Zudem sind sie im Kindergarten und in der Grundschule fast nur mit Frauen konfrontiert. "Mann sein ist schwierig, das Vorbild fehlt oft", fasste Andrea Stablo damals die Situation in wenigen Worten zusammen.

Gut ein Jahr später haben Boxhandschuhe und Sandsack ausgedient. "Die Jungen haben in diesem Jahr gelernt, ihre Wut besser zu kanalisieren", berichtet Schulleiterin Stephanie Reiter. Die verstärkte Arbeit der beiden männlichen Kollegen an der Schule sowie der männlichen Bezugspersonen in der Nachmittagsbetreuung zahle sich bereits aus.

Den Jungen gelinge es mittlerweile besser, ihre Gefühle in Worte zu fassen, statt in Aggression zu verfallen. Einmal pro Woche werde in den Klassen über Streitschlichtung und Gewaltprävention geredet. Das diene der Gemeinschaftsbildung.

Schulleiterin: Kinder müssen auch Mal wild sein dürfen



"Wir finden es aber wichtig, dass Kinder auch einmal raufen und wild sein dürfen. Gerade Jungen kompensieren tendenziell eher über diese Schiene ein gewisses Bedürfnis nach Körperlichkeit", hebt Reiter hervor. Deshalb ist auf dem Pausenhof eine Ringen- und Raufecke eingerichtet worden, in der sich die Kinder in den Pausen unter Aufsicht austoben können. "Die Kinder lernen die Regeln für das Ringen und Raufen im Sportunterricht und in Arbeitsgemeinschaften", berichtet Reiter. Manche Spaziergänger schauen, so Reiter, zwar verständnislos, warum Lehrer dieses Treiben dulden. Nach Erklärung des Sachverhalts seien sie dann aber beruhigt.

"Das Projekt ist eine Bereicherung", sagt Eckhard Müller, Vorsitzender des Schulelternbeirates. "Die Jungen haben einen erhöhten Förderungsbedarf, weil sie der Entwicklung hinterherhinken."

Wer sich für die Thematik und den Umgang damit an der Cusanus-Grundschule interessiert, ist zu einem Informationsabend über "Geschlechtersensible Schule & Jungenförderung" eingeladen. Er findet am Donnerstag, 5. November, im Musikraum der Schule statt. Einer der Projektbegleiter der Fachstelle für Jungenarbeit wird ab 20 Uhr Rede und Antwort stehen. Am Freitag, 20. November, sind alle Kinder in Begleitung ihrer männlichen Bezugsperson, wer auch immer es ist, zum Aktionstag "Mann-Kind" eingeladen. Zwischen 16 und 18 stehen spannende und lustige Workshops auf dem Programm.

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