Geschichtsverfälschung

Zum Artikel "Ein Wittlicher, der die Schulwelt bewegte" meint dieser Leser:

Der Bericht enthält einen schwerwiegenden Fehler. Professor Reinhold Bohlen wird zitiert, der gesagt haben soll, das an den Juden 1933-1945 verübte Verbrechen habe Menschen betroffen, "deren einziger Makel` der war, jüdischen Glaubens zu sein". Ob Professor Bohlen korrekt zitiert wird, sei dahingestellt. Auf jeden Fall verfälscht die zitierte Formulierung die Tatsache, dass die Nationalsozialisten die Juden wegen ihrer Rassenzugehörigkeit und nicht wegen ihres Glaubens verfolgt und vernichtet haben.

In der NS-Rassenideologie war der Makel der Juden ihre Rasse. Dieser Makel blieb auch an den zum christlichen Glauben konvertierten Juden haften, der folglich keine Schonung erwarten durfte. Die im Zeichen des NS-Rassenwahns verübten Verbrechen lassen heute davor zurückschrecken, den Begriff "Rasse" überhaupt noch in den Mund zu nehmen. Die geschichtlich korrekte Rückerinnerung an den Holocaust zwingt jedoch dazu, den Begriff "Rasse" nicht auszuklammern, da er fundamental für jenes Verbrechen war. Der Antisemitismus, hervorgegangen gegen Ende des 19. Jahrhunderts aus dem Sozialdarwinismus, war und ist keine Glaubens-, sondern eine Rassenfrage. Darin unterscheidet sich der Antisemitismus eindeutig von dem Antijudaismus, der seit eh und je von den christlichen Kirchen vertreten worden ist. Die Kirchen sahen in den Juden Ungläubige (Perfides), die sich überall durch Konversion zum Christentum vom Judentum lösen konnten. Der getaufte Jude war kein Jude mehr. Der Antijudaismus zielte auf Bekehrung und nicht auf Ausrottung der Juden. Die Kirchen haben den antisemitischen Rassismus der Nazis entschieden verworfen. Sie sind jedoch nicht davon freizusprechen, dass sie mit ihrem konfessionell begründeten Antijudaismus der Akzeptanz des rassistischen Antisemitismus unwillkürlich Vorschub geleistet haben. Bemerkenswert ist, dass der herkömmliche Antijudaismus im Jahr der Einweihung der Wittlicher Synagoge 1910 in der christlichen Bevölkerung der Stadt kaum noch eine Rolle gespielt hat. Die Juden waren allgemein als "deutsche Staatsbürger israelitischen Glaubens" anerkannt und geachtet. Die Demolierung der Synagoge 1938 war das Werk von Rassisten und nicht von Glaubensfanatikern. Es ist bedauerlich, dass in den Medien immer noch nicht mit der sachlich gebotenen Gründlichkeit zwischen Antijudaismus (als Glaubensfrage) und Antisemitismus (als Rassenfrage) unterschieden wird. So kommt es zur Geschichtsverfälschung wie in dem zitierten TV-Artikel.

Professor Dr. Erwin Schaaf, Kinderbeuern

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