GLAUBE IM ALLTAG

Berlin an einem Samstagabend, Rushhour in der U 2 Richtung Alexanderplatz. Mir gegenüber sitzt eine junge Frau.

Aus ihrer Tasche nimmt sie ihr Handy und telefoniert mit ihrer Freundin. "Ich hatte den ganzen Tag viel zu tun und eigentlich bin ich hundemüde," sagt sie in einer solchen Lautstärke, dass viele in der voll besetzten U-Bahn zuhören konnten, "aber schlafen, schlafen kann ich noch im Grab. Also bis heute Abend!" Eine unbekümmerte, vielleicht auch leicht gesagte Äußerung über die sich dennoch nachzudenken lohnt. Da ist einerseits eine junge Frau, der Alltag und Beruf viel abfordern. Sie ist aber über die berufliche Anspannung hinaus auf der Suche nach einem erfüllten und gelingenden Leben. Aber auch jeder von uns ist auf der Suche, unsere Wege sind jedoch verschieden. Die Hoffnung auf Gelingen verbindet uns alle und ist bei allen gleich. Glücklicherweise schreibt uns heute niemand mehr vor, weder Staat noch Kirche, wie wir zu unserem persönlichen Glück gelangen. Der Freiheitswille der Menschen ist auch auf die Dauer stärker, als alle Versuche, den Menschen Glück aufzuzwingen. Auch die Kirchen müssen mehr denn je bemüht sein, Angebote zu unterbreiten, die die Gläubigen ansprechen, für diese überzeugend einzutreten und christliche Werte vorzuleben. Der jungen Frau ist aber auch klar, dass ihr Leben einmal zu Ende gehen wird. Schlafen nennt sie diesen Zustand danach, um das Wort Tod zu vermeiden. Sie erfasst intuitiv, dass Leben und Tod in einen Zusammenhang stehen und dass der Tod für alle Menschen unausweichlich ist. Übrigens: Mich interessierten die Reaktionen der Menschen in der U-Bahn im Anschluss an das Telefonat. Die Mehrzahl schaute ohne äußere Regung geradeaus, einige runzelten die Stirn und bei einigen huschte ein verständnisvolles Lächeln über das Gesicht. Niemand sagte etwas. Cool wirken und bleiben. Anonymität einer Großstadt. Möglicherweise hat die junge Frau an diesem Abend Menschen, wenn auch nur für eine kurze Zeit, ins Grübeln gebracht. Nachdenken über Leben und Tod, ein solcher Gedanke ist gelebter Glaube im Alltag am morgigen Totensonntag. Dieter Stuff aus Ürzig ist Rektor im Ruhestand.

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