Vom Nebentisch her trat ein älterer Herr, der bisher in ein Buch vertieft zu sein schien, bedächtig an unseren Tisch und meinte: "Da sind wohl Oma und Enkeltochter unterwegs." Er fragte nach dem Woher und erkundigte sich nach dem Studium der Enkelin, blieb dann, in Gedanken versunken, einfach stehen. Aus Verlegenheit sagte ich: "Sie sind öfters allein hier?" Stille. "Vor zehn Jahren ist sie gestorben", sagte er leise, kehrte an seinen Platz zurück, schien sich weiterhin in sein Buch zu vertiefen und markierte hin und wieder eine Stelle mit dem Stift. Aber ich spürte seinen Blick öfters auf uns ruhen. Als es Zeit war aufzubrechen, wünschte ich ihm einen guten Tag und wollte weitergehen, aber sein Blick hielt mich fest. "Sie lesen gern", sagte ich verlegen. "Ich interessiere mich für evangelisch/katholisch", sagte er kurz. "Sind Sie ein gläubiger Mensch?" fragte ich nach. Schweigen. "Ich habe mir einiges ins Alter rüber gerettet, ich bin evangelischer Pfarrer, Jahrgang 1928, bin schon alt", fügte er leise hinzu. "Ich bin in der katholischen Kirche aktiv, schreibe dafür auch einiges", sagte ich, und zur Ermutigung: "Dann wollen wir beide so weitermachen, Sie mit dem Lesen und ich mit dem Schreiben, um uns noch etwas fit zu halten." "Danke für das kurze, gute Gespräch", sagte er bewegt, "es war mir eine große Freude; das ist heute ein guter Tag für mich." Eine scheinbar unbedeutende Geschichte und doch anrührend. Als Fremde waren wir uns begegnet, hatten uns für eine kurze Zeit einander geöffnet und Einblick in unser Leben zugelassen. Einander wahrnehmen, offen sein für den andern und achtsam miteinander umgehen - genau das meint Barmherzigkeit, ist gelebter "Glaube im Alltag". Elfriede Klar aus Esch ist Lehrerin im Ruhestand.