Grabsteine, die Geschichten erzählen

Neumagen · Neumagen war in konstantinischer Zeit eine wichtige Schutzbastion gegen die Germanen. Ein archäologischer Rundweg mit rekonstruierten antiken Mauerresten und Abgüssen von Grabdenkmälern führt durch das römische Noviomagus. Die bedeutsamen Funde geben Einblicke in das römische Leben an der Mosel.

Neumagen. "Und endlich erblickte ich im vorderen Grenzlande der Belger Noviomagus, das berühmte Lagerkastell des göttlichen Constantinus." So schrieb Ausonius im Jahr 368 nach Christus in seiner Dichtung "Mosella". Zu dieser Zeit war Neumagen ein wichtiger Knotenpunkt an der Heerstraße der Römer, die von Mainz über den Hunsrück nach Neumagen und weiter nach Trier führte. Kaiser Konstantin hatte die Festung errichten lassen, nachdem die Germanen die Siedlung 275 n. Chr. zerstört hatten.
Heute leben 2300 Menschen in Neumagen. Wie viele es zu Zeiten des römischen Kastells waren, ist nicht überliefert. Zu vermuten ist, dass es hier Truppenunterkünfte für die Soldaten gab, Speicherbauten für die Vorräte, Werkstätten, Ställe, Verwaltungsgebäude und auch Wohnhäuser. Denn hier waren die Menschen vor den einfallenden Germanen einigermaßen sicher. Einen Eindruck von der imposanten Befestigungsmauer rund um den römischen Stützpunkt liefert ein Stück nachgebaute Mauer im Pfarrgarten bei der Kirche (siehe Extra).
Vieles noch im Boden verborgen


"Moselländisches Pergamon" wird Neumagen auch genannt. Die archäologischen Schätze, die in seinem Boden gefunden wurden, füllen einen eigenen Raum im Rheinischen Landesmuseum Trier. Und das ist nicht alles. Viele Funde lagern in einem Fundus, fernab von den Augen der Öffentlichkeit. Vieles ist noch im Boden verborgen, weil Häuser darauf stehen.
Entdeckt wurden die römischen Hinterlassenschaften bei Ausgrabungen zwischen 1877 bis 1885. Was zutage trat, war der Grundriss eines spätrömischen Kastells.
Für die größte Überraschung sorgte das Fundament, auf dem die Römer die Befestigungsanlage gebaut hatten. Es bestand aus abgebrochenen Grabdenkmälern, die Steinmetze mit Szenen aus dem römischen Alltag reich verziert hatten. Sie gewähren einen unschätzbaren Einblick in das römische Leben.
"Das unterscheidet Neumagen von anderen Kastellen", sagt Ortsbürgermeister Willi Herres. Manches Relief - wie das Neumagener Weinschiff - wurde nahezu berühmt. "Die Schulszene ist in jedem Lateinbuch abgebildet", sagt Herres über eine weitere Abbildung. Sie ist in eine Hauswand in der Spielesgasse eingelassen. Das Bild zeigt, dass wohlhabende Familien sich einen Privatlehrer leisteten, der anhand der Haartracht als Grieche erkennbar ist. Die sitzenden Schüler halten Papyrusrollen in den Händen, ein dritter scheint gerade hinzuzukommen, in der Hand beschreibbare Wachstafeln.
Ein Relief am ehemaligen Rathaus erzählt, wie die Bauern ihre Pacht abgaben. Die Frisierszene im Garten der Peterskapelle macht klar, dass reiche Römerinnen größten Wert auf ihre Frisur legten und sich von Dienerinnen zurechtmachen ließen. Das Grabdenkmal eines Winzers hinter der Kirche gibt Aufschluss darüber, dass Römer die Reben im Weinberg in Form der Acht banden.
Willi Herres hätte die Originale gerne wieder zurück. Doch daran ist nicht zu denken. Sie sind im Besitz des Landesmuseums. Die Gemeinde präsentiert stattdessen für 3000 bis 5000 Euro pro Stück Rekonstruktionen entlang des archäologischen Rundwegs durch den Ort: "Man muss sie sich grell bunt, wie Pop-Art vorstellen", erzählt Herres. Die Farbe aus der Römerzeit ist längst abgewaschen, ungeachtet dessen ziehen die Relikte viele Touristen an.
1600 Gäste nahmen im vergangenen Jahr an Führungen teil. 8000 bis 10 000 sind es jedes Jahr, die mit der Stella Noviomagi zur Flussfahrt aufbrechen. Seit fünf Jahren ist das Römerweinschiff als Nachbau des berühmten Neumagener Weinschiffs eine Attraktion. Im April verlässt sie wieder ihr Winterquartier im Jachthafen, und im Mai starten wieder Führungen durch das römische Noviomagus.
Extra

Das römische Kastell wurde in der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts aus Schiefer errichtet. Für die Fundamente der Mauern und Türme nutzten die Erbauer den stabilen Kalk- und Sandstein von über 40 Grabmonumenten. Die Befestigungsanlage erstreckte sich auf einer ovalen Fläche von 1,3 Hektar. Sie reichte von der heutigen Spielesgasse im Norden zur Burgstraße im Süden und vom Krischelsberg im Westen bis zur Moselstraße im Osten. Die Nord-Süd-Achse ist 112 Meter lang, von West nach Ost beträgt die Strecke 131 Meter. Die Schiefer-Mauern waren 3,65 Meter dick. Von 13 Rundtürmen aus hatten die Wachsoldaten ein Auge auf die Umgebung. Der Rest eines solchen Turmes ist heute noch von der Spielesgasse aus zugänglich. Führungen und Fahrten mit der Stella Noviomagi vermittelt die Tourist-Info unter 06507/6555. sys

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