Großer Herrgott in Wintrich: Der Mönch war's - doch nicht!

Wintrich · Der Große Herrgott wacht über die Moselschleife bei Wintrich und Piesport und erinnert dabei ein wenig an die Christusstatue auf dem Zuckerhut in Rio de Janeiro. Lange wurde angenommen, dass das mehr als neun Meter hohe Kreuz mit der Jesusfigur von einem Mönch stammt. Doch nun bringt Vera Schade aus dem hessischen Taunusstein Licht ins Dunkel.

 Von oben links im Uhrzeigersinn: Der Große Herrgott erinnert er an die Christusstatue in Rio de Janeiro (Foto: Klaus Kimmling). Vera Schade (Foto: privat) fand im Archiv der Kirchengemeinde St. Elisabeth ein Foto vom Kreuz von 1936. Werner Marginet und Hans-Otto Linden (rechts) freuen sich, dass die Herkunft des Großen Herrgotts geklärt ist (Foto: Monika Pradelok).

Von oben links im Uhrzeigersinn: Der Große Herrgott erinnert er an die Christusstatue in Rio de Janeiro (Foto: Klaus Kimmling). Vera Schade (Foto: privat) fand im Archiv der Kirchengemeinde St. Elisabeth ein Foto vom Kreuz von 1936. Werner Marginet und Hans-Otto Linden (rechts) freuen sich, dass die Herkunft des Großen Herrgotts geklärt ist (Foto: Monika Pradelok).

Vera Schade stammt nicht aus Wintrich. Die Dame lebt in Taunusstein und reichte beim TV einen Aufsatz ein. Titel: Fall und Aufstieg eines Kreuzes - Lucy Hillebrands Großer Herrgott. Im Text belegt sie die wahre Geschichte des Großen Herrgotts sowie seiner Künstlerin.

Vor drei Jahren fiel der 65-Jährigen bei ihren Vorbereitungen zu einer Führung in der St. Elisabeth-Kirche in Wiesbaden auf, dass Aufzeichnungen zufolge dort ein großes Betonkreuz stehen sollte. Doch wo war dieses Kreuz, das von der Künstlerin und Architektin Lucy Hillebrand geschaffen worden war? Um die Frage zu klären, fuhr sie ins Diözesanarchiv Limburg und fand neben den benötigten Unterlagen auch Briefe, die eine Auseinandersetzung zu diesem Thema beinhalteten. Für die ehemalige Lehrerin war klar, dass sie Hinweise für das Kreuz finden wollte: "Lucy Hillebrand und ihr Werk verdienen es."

Der Anfang

In der Elisabethgemeinde in Wiesbaden soll am 29. März 1936 eine neue Kirche geweiht werden. Der dortige Pfarrer Leonhard Wilke freut sich über das Gotteshaus. Es sei nicht nur von der Hallenkonstruktion her modern, sondern auch von der Innenausstattung. Über dem Hochaltar ragt ein riesiges Kreuz auf. Dieses wird in einem Reisebericht von zwei Geistlichen am 20. März zerrissen: "Diese Arbeit entspricht in keiner Weise den Anforderungen, die (…) an ein Kunstwerk gestellt werden müssen, das an einer so hervorragenden Stelle des Gotteshauses ausgestellt wird." Am 24. März besichtigt der Wiesbadener Regierungsbaurat Eberhard Finsterwalder die Kirche und stuft das Kreuz als bedenklich ein. Der "ausdruckslose, viel zu große Kopf" sei ein Wagnis und könne dem Volk nicht präsentiert werden. Es wird noch vor der Kirchweihe entfernt.

Auftritt Hillebrands

Danach meldet sich die Künstlerin zu Wort. Die Abnahme ihres Werkes, das mit "zu wenig Können" begründet wird, trifft sie. Sie bittet beim bischöflichen Ordinariat um eine Klarstellung. Dieses zieht in Betracht, "die Entfernung des Kreuzes rückgängig zu machen". Als jedoch ein Hinweis eingeht, dass Hillebrand jüdischer Abstammung ist, heißt es in der letzten schriftlichen Aufzeichnung, dass man "auf eine Wiederanbringung des früheren Kreuzes aus pastoralen Gründen" verzichtet. Ihr Werk verschwindet im Keller des Pfarrklosters. Später findet es seinen Weg nach Hornau (Hessen), wo es in den 1960er Jahren von Josef Reinhard aus Wintrich entdeckt wird.

Reise nach Wintrich

Für ihn repräsentiert die Christusfigur den perfekten Herrgott. Zudem interessiert ihn seine Geschichte: Ein Mönch soll die Figur hergestellt haben, doch aufgrund seiner Größe findet sich kein geeigneter Platz. Die Vernichtung des Kreuzes wird sogar in Betracht gezogen. Hierauf nimmt er mit den zuständigen Stellen Verhandlungen auf und erreicht, dass das Kreuz 1968 nach Wintrich gebracht werden darf. Hans-Otto Linden erinnert sich an die Abholung in Kelkheim-Hornau: "Die Hornauer waren froh, das sperrige Ding loszuwerden."

Zurück in Wintrich, machten sich die Freiwilligen an die Arbeit: Ein Betonsockel sowie ein neun Meter hohes Kreuz wurden angefertigt, um die sieben Meter hohe Figur aufstellen zu können. "Wir sind sehr stolz auf den Großen Herrgott", erklärt Werner Marginet, Vorsitzender des Fördervereins. Der Aufsatz war eine große Überraschung für ihn. "Wir sind Frau Schade für ihre Arbeit sehr dankbar und freuen uns über die wahre Geschichte unseres Herrgotts."
Extra


Vera Schade (Foto: privat) fand im Archiv der Kirchengemeinde St. Elisabeth ein Foto vom Kreuz. "Ohne dieses Bild wäre der Nachweis der Urheberschaft Lucy Hillebrands wesentlich schwerer geworden." Weitere Hinweise entnahm sie einer Chronik der franziskanischen Gemeinschaft: "Die Altarrückwand sollte durch ein aus Beton gegossenes Kreuz geschmückt werden (…). Die kirchlichen Behörden versagten jedoch ihre Gutheißung, und so wurde das Kreuz seit 1936 im Keller des Pfarrklosters aufbewahrt (…)."

Lucy Hillebrand: deutsche Künstlerin und Architektin, die 1906 in Mainz geboren wurde. Sie studierte von 1922 bis 1925 an der Kunstgewerbeschule in Offenbach. Ab 1928 hatte sie ein Büro in Frankfurt. Sie war Mitglied des Deutschen Werkbundes und starb 1997.

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