"Ich habe die Kurve nicht mehr gekriegt"

Wittlich/Hillesheim · Er geriet in finanzielle Schwierigkeiten, die Zwangsversteigerung seiner Häuser drohte. Also lieh sich der heute 72-Jährige bei zwei Bekannten fast 70 000 Euro. Er versprach, das Geld schnell zurückzuzahlen. Tatsächlich aber war ihm dies gar nicht möglich. Das Amtsgericht Wittlich hat den Mann wegen Betrugs zu einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.

Wittlich/Hillesheim. "Vertrauenswürdig" ist das Wort, das am häufigsten fällt, wenn es um den Mann geht, der am Donnerstag vor dem Wittlicher Schöffengericht angeklagt ist. Ein Mann, der seine an Lungenkrebs erkrankte Frau vor ihrem Tod aufopferungsvoll pflegte. Ein Mann, der seiner Mieterin Einkäufe brachte, ihr Getränkekästen in die Wohnung trug, ihr regelmäßig Blumen schenkte. Ein 72-jähriger Mann, der die 79-jährige Frau um mehr als 55 000 Euro ihrer Ersparnisse brachte.

"Im Nachhinein frage ich mich auch: Wie konntest du nur? Aber ich habe ihm vertraut", sagt die um ihre Altersvorsorge gebrachte Seniorin gestern vor Gericht. Viermal lieh sie ihrem Vermieter zwischen 2008 und 2010 Geld. Zweimal 20 000 Euro: Der 72-Jährige hatte behauptet, Steuern begleichen und ein neues Auto bezahlen zu müssen. Dann 17 000 Euro: Der Angeklagte wollte ihr seine von ihr bewohnte Eigentumswohnung verkaufen, da er die zunächst geliehenen 40 000 Euro nicht zurückzahlen konnte. Nur zum Notar ging es anschließend nie. Zuletzt 7000 Euro, von denen er später 5000 Euro zurückzahlte. Warum die Seniorin ihrem Vermieter immer wieder Geld gab, obwohl sie kaum etwas zurückbekam? "Er machte einen ehrlichen Eindruck, Sie hätten ihn mal reden hören, und dann brachte er mir immer mal ein Sträußchen Blumen."

"Der ist so selbstsicher und seriös aufgetreten", sagt ein weiterer Geprellter, ein mit dem Angeklagten gut bekannter Autohändler, "er war immer proper angezogen, richtig geschniegelt, sodass man keine Bedenken hatte." Jahrelang kaufte der 72-Jährige seine Autos bei dem Zeugen und dessen Frau, gab die Wagen dort in die Werkstatt. Man kannte sich gut. So gut, dass der Autohändler dem Mann mehrmals Geld lieh - und zunächst auch zurückbekam. Doch im Jahr 2010 streckte der Zeuge dem Senior einmal 4500 Euro, später 5000 Euro vor, ohne das Geld zurückzubekommen. "Er hat mir immer gesagt, wir bräuchten uns keine Sorgen zu machen: Er hätte ja noch zwei Häuser", berichtet der Zeuge.

"Ich war zu keinem Zeitpunkt ein Betrüger", beteuert der Angeklagte, "ich befand mich in einer Zwangslage, deswegen wollte ich ja auch eines der beiden Häuser verkaufen." Die Zwangslage nahm ihren Anfang etwa im Jahr 2005, als die Ehefrau erkrankte und er seine Arbeit als Versicherungsvertreter vernachlässigte, um sie zu pflegen. Er verdiente kaum noch Geld, das Finanzierungskonzept für die beiden Häuser in der Verbandsgemeinde Hillesheim krachte in sich zusammen. Er löste Lebensversicherungen auf, um über die Runden zu kommen. Stopfte das eine Loch, indem er woanders ein neues aufriss - beispielsweise, indem er seine Mieterin und den bekannten Autohändler um Geld bat. "Ich habe die Kurve nicht mehr gekriegt", sagt der 72-Jährige, der bis dato nicht vorbestraft war. 350 000 Euro Schulden türmten sich letztlich auf.

"Sie haben die Gutmütigkeit der Geschädigten ausgenutzt", wirft Richter Stefan Ehses dem Angeklagten vor. Allerdings bescheinigt Ehses den Opfern auch "eine gewisse Blauäugigkeit". Diese jedoch müssen sie teuer bezahlen: Ihr Geld werden sie nicht zurückbekommen. Die Häuser sind zwangsversteigert, der 72-Jährige ist mittellos: Er lebt von einer Rente von 250 Euro und der Grundsicherung im Alter. Davon muss er die kommenden zwei Jahre jeden Monat noch 50 Euro abzwacken: Das Gericht verurteilt den Mann wegen Betrugs zu einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung. Je 25 Euro soll er an seine ehemalige Mieterin und den Autohändler zahlen. Eine - wenn auch - kleine Wiedergutmachung.

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