"Ich stech' dich jetzt ab"

TRIER. Vor dem Trierer Landgericht ist am Donnerstag der Prozess gegen einen 67-jährigen Mann aus Wittlich fortgesetzt worden. Er soll versucht haben, seine mittlerweile geschiedene Ehefrau zu töten. Die Staatsanwaltschaft hält den Mann für schuldunfähig.

An einem Freitag im Juli vergangenen Jahres will Dieter W. nicht mehr. Er stoppt seinen Wagen auf einem Autobahnparkplatz, leert mehrere Flaschen Bier und fährt wieder los Richtung Manderscheid. Den Baum, den er ausgesucht hat, um frontal dagegen zu brausen und seinem Leben ein Ende zu setzen, touchiert er schließlich nur leicht an der Rinde. Der Todessehnsüchtige kommt mit ein paar Kratzern davon. "Pech gehabt", murmelt der Rentner vor dem Trierer Schwurgericht. Dieter W. hat in den 67 Jahren seines Lebens oft Pech gehabt. Die Schulkarriere beendet der Krieg, eine Malerlehre bricht er ab, zwei Beziehungen gehen in die Brüche. Dieter schlägt sich als Möbelpacker durch, jobbt auf dem Bau, als Plakatkleber, Kellner und Taxifahrer. Das kleine Glück kommt für Dieter unerwartet. Es ist ein Dezember-Tag im Jahr 1979, als die 23 Jahre jüngere Monika (Name von der Redaktion geändert) in sein Taxi steigt. Die in einer Bar arbeitende Frau will nur in die Eisdiele gefahren werden und trifft statt dessen "den Mann meines Lebens". "Es hat sofort gefunkt", sagt Monika rückblickend, "ich wusste, der oder keiner." Die beiden verabreden sich noch für den selben Abend, sind von da an unzertrennlich. 1980 wird ihr erstes Kind geboren, ein Sohn, 1981 und 1983 folgen zwei Töchter. Das Pärchen heiratet, zieht erst nach Bayern, dann nach Helmstädt, 1989 schließlich in Monikas Elternhaus in die Eifel. Von da an ist die kleine Glückssträhne der beiden beendet. Weil sich Monika und ihre Mutter nicht verstehen, zieht das Pärchen mit seinen drei Kindern nach kurzer Zeit wieder aus. Obwohl beide arbeiten, werden die finanziellen Probleme immer größer. Bei Dieter kommen gesundheitliche dazu: erst ein Krebsgeschwür, dann ein Herzinfarkt und eine Bypass-Operation, schließlich noch ein Schlaganfall. Die Familie versucht, den Gläubigern zu entkommen, indem sie ständig umzieht - in einem Jahr sogar vier Mal.Nicht miteinander, nicht ohne den anderen

Irgendwann wird Monika alles zu viel: die ständigen Wohnungswechsel, die Schulden, die Krankheiten des Mannes. "Ich habe es daheim nicht mehr ausgehalten", sagt sie, "die ganzen Probleme…" Die jetzt 43-Jährige flüchtet sich in Arbeit, lässt sich immer seltener zu Hause in Wittlich sehen. Die Ehe von Monika und Dieter ist längst am Ende. "Wir haben uns auseinander gelebt", sagt sie. Sie können nicht mehr miteinander, aber einander loslassen lassen wollen sie auch nicht. Vor allem Dieter klammert. Vergeblich. Die familiäre Situation spitzt sich zu. Der Vater, von Natur aus ein freundlicher, geduldiger Mensch, fährt jetzt plötzlich immer öfter aus der Haut und macht manchmal einen abwesenden Eindruck. Auswirkungen des Schlaganfalls, der zu unumkehrbaren Hirnschädigungen geführt hat, wird später der Gutachter sagen. Als Monika (sie ist mittlerweile ausgezogen) am 11. Mai vergangenen Jahres ins Wohnzimmer kommt, liegt ein Steakmesser auf dem Tisch. "Wenn du nur zum Wäschewaschen kommst", sagt Dieter, "verlässt du das Haus nicht mehr lebend." Monika kann ihren Mann noch einmal beruhigen. Einen Monat später gelingt ihr das nicht mehr. Über das Kindergeld will sie mit ihrem Mann reden und über das Stammbuch, das sie mitnehmen möchte. Da kommt Dieter mit einem Messer aus der Küche und stürzt auf seine Frau zu: "Ich stech' dich jetzt ab." Wohl nur weil die jüngste Tochter dazwischen geht, verzweifelt den erhobenen Arm ihres Vaters umklammert und sich dabei selbst leicht verletzt, lässt der 67-Jährige von seinem Vorhaben ab. Nach vier Wochen im Trierer Gefängnis bekommt Dieter einen Therapie-Platz. An "seine" Monika klammert er sich immer noch: "Ich dachte nur, du musst sie doch irgendwie zurückbekommen." Aber Monika will nicht mehr zurück, sagt es ihm auch am Telefon, als Dieter damit droht, sich andernfalls umzubringen. Doch der Suizidversuch mit dem Auto schlägt fehl, der Rentner landet in der geschlossenen Psychiatrie Nettegut. Über ein Jahr ist Dieter nun dort, und er macht Fortschritte, sagt sein Psychiater. Trotzdem: "Das Thema Monika ist für ihn lange noch nicht abgeschlossen", meint der Arzt. Der 67-Jährige wird wohl auch die nächsten Jahre noch im Nettegut verbringen. Das Urteil spricht die umsichtig verhandelnde Richterin Irmtrud Finkelgruen am Dienstag.

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