Tourismus Die Geschichte mit Geschichten beleben - Zwei Gästeführer erzählen

BERNKASTEL-KUES · Annelie Servatius und ihr Mann Jürgen sind Gästeführer aus Leidenschaft. Bernkastel-Kues kennen sie wie ihre Westentasche.

 Das Ehepaar Servatius im Nachtwächterkostüm, das beide für ihre Führungen tragen.

Das Ehepaar Servatius im Nachtwächterkostüm, das beide für ihre Führungen tragen.

Foto: TV/Foto: Th.Zuehmer

Bernkastel-Kues hat viel Wein, viel Landschaft, viel Charme, viele Überraschungen, viel Fachwerk, viel Kultur und viele Besucher. Wer möchte, wird in Gruppen von einem Mitglied der 15-köpfigen Stadtführergruppe auf die Geschichte, den Aufbau und die Entwicklung aufmerksam und ein wenig vertraut gemacht. Die Stadtführer lieben ihre Moselheimat, und diese Liebe zeigen sie bei den Stadtführungen durch Straßen und Gassen.

Das Ehepaar Annelie und Jürgen Servatius, echte Bernkasteler Urgesteine, gehören zu diesem Team. Sie sind in der Weinstadt groß geworden und kennen die Stadt von A bis Z. Annelie Servatius (64 Jahre) und 15 Jahre „im Geschäft“ spricht auch für ihren Gatten, (66) der zehn Jahre als Stadtführer fungiert.

Wie ihre Kollegen arbeiten sie auf Honorarbasis. Die ein- bis zweistündigen Führungen werden das ganze Jahr angeboten. Im Januar und Februar sind aber kaum Nachfragen, im September und Oktober dafür um so mehr.

Wie kam Annelie Servatius zu ihrem „Job“? „Dass wir Stadtführungen machen, ist wohl ein bisschen genetisch bedingt. Mein Vater gehörte zum Urgestein der Stadtführer in Bernkastel und versuchte jahrelang uns ebenfalls als Stadtführer zu gewinnen, und er begründete seinen Wunsch mit der Behauptung, er habe nie in seinem Leben etwas Schöneres als Stadtführungen gemacht. Schon nach meiner ersten Führung habe ich diesen Satz wiederholt, den mein Mann zwischenzeitlich auch nachspricht.“

Helmut Theis, der verstorbene Vater, durch seinen Stadtführungsstil weit bekannt, hat ein riesiges Archiv hinterlassen. Neben allen Stadtbüchern waren etwa 100 Ordner mit historischen Bildern und Texten in seiner Wohnung zu finden. Das Wissen über die Stadt hat sich Familie Servatius dadurch selbst erlesen, hinzu kamen Schulungen zu verschiedenen Themen wie Gästebetreuung, Aufbau einer Führung oder Kinderführung. Stadtführer Jürgen Servatius hat zudem bei der IHK die Ausbildung zum Wein- und Kulturbotschafter gemacht, was dem „Thema Bernkasteler Wein“ zugute kam, während seine Frau die Ausbildung Obstart- und Gartenmentorin absolvierte.

Wie bereiten sich die Gästeführer vor? „Man muss aktuell sein. Es ändert sich immer etwas. Da wird ein Brunnen abgebaut und dort wird etwas freigelegt und heute werden auf der Burg Landshut auch Führungen in Kostümen angeboten“, erklärt die Gästeführerin.

Und: „Es müssen Fragen gestellt werden, denn sie erwecken eine Führung zum Leben. Unter anderem sind die Gäste begeistert von der mittelalterlichen Kulisse, dem Marktplatz und den Weinbergen. Es kommt auf die Zusammensetzung einer Gruppe an, mit der man sich schon vor dem Start des Rundgangs beschäftigen sollte, damit man danach den Schwerpunkt für die Gäste festlegen kann.“ Annelie Servatius spezifiziert: „Wir haben einzelne Informationsblöcke, die man danach aneinanderreihen kann. Und je nach Gruppe oder Betrieb an den einzelnen Plätzen sind wir damit flexibel im Laufweg. Beim großen Weinfest sollte man den vielen Musikgruppen aus dem Wege gehen.“

Gerade am Weinfest seien Gruppen nach einer ausgiebigen Weinprobe natürlich nicht so leicht zu führen wie vor einer Probe. Aber damit können die Gästeführer gut umgehen. „Ich hatte ein einziges Mal eine Gruppe, die überhaupt nicht reagiert hat, bei der die Leute wie Wachsfiguren vor mir standen, aber ansonsten sehr diszipliniert waren. Ich habe nach zehn Minuten gefragt, ob die Führung nicht gefällt, aber die Herren waren nach ihrer Weinprobe einfach zu spät ins Bett gekommen und konnten sich nicht konzentrieren“, erinnert sich Servatius.

Wie erregt man das Interesse der Besucher? Die Bernkasteler Stadtführer legen Wert darauf, dass sie die Gruppe „gepackt“ bekommen, damit sie Interesse zeigt. Mit diesem Anspruch führen sie auch Kindergruppen. Sie werden mit ins Boot genommen, dürfen Bilder zeigen, bekommen kleine Aufgaben zugeteilt und werden gelobt. Damit sind Eltern und Kinder zufrieden, denken noch später an das Erlebnis. Und dann kommt Annelies Erfahrung: „Sollte es einmal wirklich zu laut in der Gruppe werden, weil einer der Gäste unbedingt solo unterhalten will, auf keinen Fall lauter werden, das ist nicht sinnvoll. Deshalb - wir wollen keinesfalls als Lehrer oder Oberlehrer daherkommen.“

Wie läuft eine gute Führung ab? „Wir möchten die Geschichte der Stadt mit Geschichten unterfüttern. Natürlich kommen wir nicht ganz ohne Zahlen aus, denn die braucht man als Rahmen der Führung – aber die Zahlen werden die Gäste wohl nicht behalten – wohl aber die kleinen Geschichten rundherum.“

Der Schwerpunkt wird auf „Einheimische“ gelegt. Das ist wohl auch eine der Besonderheiten: Während der Führungen wird mit den Einheimischen kommuniziert. Es vergeht keine Führung, ohne dass zwischendurch auf Zurufe der Bernkasteler reagiert wird. So wie „du hast die Maut noch nicht bezahlt und gehst schon wieder hier durch. Wo geht’s denn hier zum Marktplatz ?“ Annelie Servatius fasst zuusammen: „Wir sind aber keine Komödianten. Das Ziel einer jeden Führung ist die Begeisterung für die Schönheit der Stadt und der Landschaft, die wir an die Gäste weitergeben möchten.“ Das Ehepaar macht auch Führungen in englischer Sprache.

Arbeit oder Hobby? Und abschließend zur Frage, ob es Arbeit oder Hobby ist: Wenn Annelie einmal schlechte Laune hat, fragt der Ehemann: „Wann hast du eigentlich nochmal ‚ne Führung?“ Er weiß, dass sie dann immer gut gelaunt nach Hause kommt. Und zum Schluss klingt es wie im Duett: „Wir haben beide schon viel gemacht in unserem Leben – aber Führungen sind das Allerschönste !“

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