Kampf gegen das Vergessen

Wittlich · Die Zahl der Menschen mit Demenz nimmt rasant zu. Das erfordert auch, dass neue Angebote für Patienten und ihre Angehörigen geschaffen werden. Die Volkshochschule Wittlich übernimmt ab Februar ein spezielles Training des Trierer Demenzzentrums in ihr Programm: Demenzsport. Ziel: Erkrankten Menschen und ihren Angehörigen soll das Leben zu Hause erleichtert werden.

 Ute Schilbach (links) übt im Seniorenhaus Zur Buche in Salmtal mit den Bewohnern das Aufstehen. Dabei hilft ein Trainingsgürtel.TV-Foto: Sybille Schönhofen

Ute Schilbach (links) übt im Seniorenhaus Zur Buche in Salmtal mit den Bewohnern das Aufstehen. Dabei hilft ein Trainingsgürtel.TV-Foto: Sybille Schönhofen

Wittlich. Oma Tilda findet ihre Schuhe nicht mehr. Sie muss doch gleich zur Schule, denkt sie - und macht sich um zwei Uhr nachts fertig fürs Frühstück. Und sucht ihre Mutter? Oma Tilda hat die Orientierung verloren. Sie leidet an Demenz, einer fortschreitenden Erkrankung des Gehirns, die im Alter auftritt. Und da die Menschen immer älter werden, nimmt die Zahl der Betroffenen rasant zu.
Im Kreis Bernkastel-Wittlich leben nach einer Hochrechnung rund 2220 Demenzkranke. Das ist jeder Fünfzigste oder zwei Prozent der Gesamtbevölkerung. In Seniorenheimen ist der Anteil höher. Im Altenzentrum St. Wendelinus in Wittlich sind nach Auskunft der Pflegedienstleiterin Adelheid Esch 80 der 120 Bewohner an Demenz erkrankt, das sind rund 67 Prozent, also zwei von drei Menschen. Das Altenzentrum Ida-Becker-Haus in Traben-Trarbach verzeichnet einen ähnlichen Anteil.
Für Menschen mit Demenz und ihre Familien sei in den letzten Jahren im Kreis viel geschaffen worden, sagt Margret Brech vom Caritas-Fachzentrum Demenz Eifel-Mosel-Ahr in Wittlich. "Es fehlt jedoch immer noch an Unterstützungsangeboten direkt vor Ort."
Gezielte Übungen


Ab Februar bietet die Volkshochschule (VHS) Wittlich ein in seiner Form im Kreisgebiet einmaliges Sportangebot für Erkrankte an. Es wurde nach wissenschaftlichen Studien entwickelt und 2006 auf Betreiben von Ministerpräsidentin Malu Dreyer am Demenzzentrum Trier aus der Taufe gehoben.
Gezielte Übungen sollen die kognitive Leistungsfähigkeit, Beweglichkeit und Gehfähigkeit erhalten. Speziell ist die Verknüpfung von Bewegungen mit Denkaufgaben. Bei einem Infoabend in Altrich demonstrierte Übungsleiter Theo Lamberts Beispiele: Teilnehmer schreiten auf dem Boden markierte Felder ab und buchstabieren dabei ihren Namen. Oder sie werfen sich einen Ball zu und nennen dabei den Namen ihres Gegenübers.
Professor Bernd Krönig, Leiter des Demenzzentrums für die Region Trier, verweist darauf, dass regelmäßige Bewegung in Verbindung mit Gedächtnistraining den Verlauf der Erkrankung verzögern kann. Birgit Backes, Leiterin der Trierer Demenzsportgruppe, rät, schon beim ersten Verdacht mit Demenzsport zu beginnen. "Je früher, desto besser. Man kann damit ganz viel bewegen."
Der Wittlicher VHS-Leiter Werner Feltes hat aufgrund von Erfahrungen im persönlichen Umfeld den Kurs ins Programm genommen und Theo Lamberts als qualifizierten Übungsleiter dafür gewonnen. Der pensionierte Sportlehrer war in der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) Trier Fachleiter für den Schulsport im Land und engagiert sich seit Jahren in gemeinsamen Gesundheitsinitiativen mit Krönig, dem langjährigen Chefarzt am Elisabeth-Krankenhaus und ersten Vorsitzenden des Vereins Haus der Gesundheit Trier/Trier-Saarburg.
Hoher Bedarf


Die Idee, dass gemeinsame Sportkurse für Demente und ihre pflegenden Angehörigen auch die Paarbeziehung stärken und die Lebensfreude erhöhen, verfolgt auch das DRK Wittlich seit vergangenem September mit dem Kurs "Freude an Sport und Bewegung für Senioren". Er richte sich auch an Menschen mit Demenzerkrankung betont Marie Luise Spreier, stellvertretende DRK-Pflegedienstleiterin. 20 Kursteilnehmer sind ein Indiz für den hohen Bedarf. Sportkurse sind vor allem geeignet für Erkrankte in einem frühen Stadium. Bei schwer Dementen berichtet Heidi Müllen, Musikpädagogin im Ida-Becker-Haus in Traben-Trarbach, von Erfolgen durch die Verbindung von Bewegung und Musik. "Die Musik ist wie ein Türöffner." Sie stoße Gedächtnisleistungen an. Die Kranken wippten mit den Füßen, öffneten die Augen oder klatschten mit, vor allem wachten sie aus ihrer Lethargie auf. Der ganzheitliche Effekt des Singens sei bemerkenswert, erläutert Müllen: Es stärke die Muskulatur, fördere die Atmung und aktiviere das Herz-Kreislaufsystem.
Um den Verlauf der Krankheit zu verzögern und für das Wohlbefinden des Erkrankten rät Professor Krönig Angehörigen vor allem eines: "Das Einbinden in die angestammte Umgebung ist das Beste, was sie tun können."
Der VHS-Kurs findet ab Februar mittwochvormittags im Pfarrheim Altrich statt. Die Teilnehmer sollten mit Begleitung kommen. Ein Starttermin und die Uhrzeit stehen noch nicht fest. Weitere Informationen bei der VHS, Telefon 06571/10739.
Extra

Wittlich: Caritas Sozialstation, Helferkreise zur stundenweisen Entlastung der pflegenden Angehörigen im häuslichen Bereich; Betreuungsgruppe (stundenweise) für Menschen mit Demenz und zur Entlastung der pflegenden Angehörigen außerhalb des häuslichen Bereichs; Tagesbetreuung von Menschen mit Demenz in Kleingruppen und zur Entlastung der pflegenden Angehörigen außerhalb des häuslichen Bereichs; Betreuungsgruppe "Neue Wege" (stundenweise) für Menschen mit beginnender Demenz außerhalb des häuslichen Bereichs. Reil: Betreuungsgruppe (stundenweise) für Menschen mit Demenz und zur Entlastung der Angehörigen außerhalb des häuslichen Bereichs. Bernkastel-Kues: Caritas Sozialstation, Helferkreise zur stundenweisen Entlastung der pflegenden Angehörigen im häuslichen Bereich; Betreuungsgruppe (stundenweise) für Menschen mit Demenz und zur Entlastung der pflegenden Angehörigen außerhalb des häuslichen Bereichs. Piesport: Pfarreiengemeinschaft Neumagen-Piesport, stundenweise Betreuungsgruppe von Menschen mit Demenz und zur Entlastung der pflegenden Angehörigen außerhalb des häuslichen Bereichs. sysExtra

Seit 2008 gibt es den Arbeitskreis Demenz. Er organisiert Fortbildungen für Angehörige von Erkrankten und Pflegekräfte. Von 2006 bis 2010 gab es bei der Caritas das Modellprojekt "Demenz - zu Hause leben". 2011 startete das Folgeprojekt, die Fachstelle Demenz. Daraus gingen örtliche Initiativen zur Beratung und Qualifizierung von Freiwilligen für Betreuungsdienste hervor. 2012 entstand das Caritas-Fachzentrum Demenz Eifel-Mosel-Ahr, das die Angebote in den Orten vernetzt. Im Dezember 2013 startete das Projekt "Zeitlos - Demenz-Offensive im Landkreis Bernkastel-Wittlich". Träger ist das DRK-Bildungswerk Eifel-Mosel-Hunsrück. Geplant sind eine Veranstaltungsreihe, die Sensibilisierung des Einzelhandels für die Thematik sowie ein Wander- und Musikprojekt. sysExtra

Das sagen die Gäste beim Informationsabend zum neuen Sportangebot der Volkshochschule Wittlich gegen Demenz: Erich Welter, 70, aus Wittlich: "Meine Frau ist an Alzheimer erkrankt. Wir haben immer viel getanzt. Jetzt machen die Beine nicht mehr so mit. Ich bin zu dem Informationsabend gekommen, um zu erfahren, ob sie von ihrer Beweglichkeit und ihrer geistigen Auffassung her an dem VHS-Sportkurs teilnehmen kann." Christel Alt, 59, aus Altrich: "Ich bin Gesundheits- und Krankenpflegerin und außerdem zweite Vorsitzende des SV Altrich. Ich bin zu der Informationsveranstaltung zu Sport gegen Demenz gekommen, um Neues zu erfahren und weil ich das VHS-Angebot weiterempfehlen möchte." Herbert Thiel, 85, Altrich: "Ich merke noch keine Demenz und bin noch aktiv. Ich will aber vorbeugen. Man kann ja nie wissen. Bewegung ist alles. Man muss etwas tun. Ich hab mich schon für den VHS-Kurs angemeldet." (sys)/TV-Fotos (3): Sybille SchönhofenExtra

Demenz ist eine fortschreitende Erkrankung des Gehirns, die im Alter auftritt. Sie ist nicht heilbar. In Deutschland leiden etwa 1,4 Millionen Menschen an Demenz, jeder dritte über 90 Jahren ist betroffen. Bis zum Jahr 2050 soll sich die Zahl demenzkranker Menschen mehr als verdoppeln. Hauptsymptome sind Gedächtnis- und Verhaltensstörungen. Erkrankte Menschen vergessen kurz zurückliegende Ereignisse, haben Probleme bei der Ausführung geübter Tätigkeiten und Sprechen sowie Schwierigkeiten, sich im gewohnten Umfeld zurechtzufinden. Sie können praktische Alltagstätigkeiten nicht mehr ohne Hilfe ausführen. Demenz ist eine Folgeerscheinung anderer Krankheiten, am häufigsten (in etwa 50 Prozent der Fälle) von Alzheimer. Quelle: Caritas Fachzentrum Demenz Eifel-Mosel-Ahr in Wittlich, Landeszentrale für Gesundheitsförderung Rheinland-Pfalz, Demenzzentrum für die Region Trier

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