Keine Abrissbirne für das Bauernhaus

Ein unzertrennliches Paar: ein altes Haus in Zemmer und eine junge Pendlerin mit Arbeitsplatz im 120 Kilometer weit entfernten Koblenz. Ihre Zusammengehörigkeit ist ein Bekenntnis zu Tradition und Heimat.

Zemmer. Conny Blesius sitzt auf der Couch und blättert in einem Ordner mit Fotoaufnahmen. "Es sah apokalyptisch aus", seufzt die Hauptkommissarin. Die Bilder zeigen ihr Haus in Zemmer während der Sanierung vor zehn Jahren. Nackte Steine, nasser Boden, Abrissschutt. Nicht mehr als ein Rohbau ohne Dach. Heute prasselt ein gemütliches Feuer im Kamin. Draußen halten Wanderer an, um das schmucke Haus zu fotografieren.
Als Conny Blesius\' Großeltern das langgestreckte Trierer Einhaus bis in die 90er Jahre bewohnten, nutzten sie noch Stall und Scheune. Conny Blesius parkt mittlerweile in dem einen Wirtschaftsraum ihr Auto, den anderen hat sie zur Waschküche umgebaut. Bevor sie 2002 einziehen konnte, waren Veränderungen nötig. Die Heizung und Installationen, ein marodes Dach und nasse Wände, verursacht durch zwei Quellen hinter dem Haus, forderten eine Entscheidung.
Die Alternative wäre der Abriss gewesen. Das konnten sich Conny Blesius und ihre Mutter Marianne nicht vorstellen. Beide hängen an dem 1860 im typischen Stil der Eifel erbauten Bauernhaus. Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen bewahrt es regionale Bautradition, zum anderen beherbergt es ein großes Stück Familiengeschichte. Seit den 30er Jahren ist das Haus im Familienbesitz. Marianne Blesius ist darin geboren worden, Conny Blesius und ihre Schwester verbrachten dort als Kinder viel Zeit. Die Geburt eines Kälbchens, der Tod des Großvaters - die 34-Jährige hat viele Erinnerungen daran, schöne und traurige. "Das Haus hat eine Geschichte. Ich bin Teil der ganzen Historie", entgegnet sie den Menschen, die ihr geraten haben, das Haus abzureißen. "Es ist mehr als eine Wohn- und Schlafstätte" beschreibt sie, was das Haus für sie verkörpert. Es ist ihr Hafen in ihrem Heimatdorf, in dem sie durch Freunde, Familie und enge nachbarschaftliche Bindungen fest verwurzelt ist.
Weil sie mit dem Haus auch die Verpflichtung, die Tradition zu hüten, übernommen hat, galt für sie die Spielregel, stilgerecht zu sanieren und unpassende Modernisierungen rückgängig zu machen. Das Dach wurde mit Naturschiefer gedeckt, Fenster auf Originalgröße verkleinert und mit Holzsprossen versehen, Sandsteingewände wurden drum herum gesetzt. Die alten Böden mussten zwar alle raus, um das feuchte Haus mit Drainagen zu versehen und eine neue Bodenplatte zu gießen, aber bei der Auswahl der neuen Fliesen achteten Conny und Marianne Blesius darauf, sie in Maß und Verlegemuster nach der Mode des 19. Jahrhunderts auszuwählen.
In diesem Jahr schlossen sie die zweite Bauphase ab. Bei den Außenarbeiten wurden die Sandsteineinfassung des Torbogens zur Scheune wieder sichtbar gemacht und die komplette Fassade saniert. Wie bei allen Arbeiten folgten Mutter und Tochter auch beim Verputz mit dem altdeutschen Kellenglattstrich den Vorgaben des Dorferneuerungsprogrammes. Dafür wurden sie mit Fördergeldern unterstützt. Die Unzulänglichkeiten, die nicht zu beheben sind, nimmt Conny Blesius gerne in Kauf. Schiefe und klamme Sandsteinwände, niedrige Decken, kleine Räume. "Es ist urig. Das, was man mit German Gemütlichkeit` meint." Sie liebt es. "Mich beeindruckt die hohe Funktionalität der Architektur." Der Weg der Sonne ist optimal genutzt, es gibt mit 210 Quadratmetern Wohnraum viel Platz, trotzdem herrscht Übersichtlichkeit in der Aufteilung.
Für ihr Haus nimmt sie in Kauf, an jedem Arbeitstag fast vier Stunden an den Weg zur Dienststelle und zurück zu verschenken. Ihre Kollegen schütteln verständnislos den Kopf. Zur Erklärung plant sie eine "Warum ich nicht nach Koblenz ziehe-Party" - bei der sie ihr Zuhause in Zemmer zeigen wird. Ein durchaus schlagendes Argument, wie die Kollegen sehen werden.

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