Keine Entschädigung für die Witwe

Wittlich · Bernhard Pfeiffer ist einer von über 20 000 Opfern der NS-Militärjustiz. Seine Witwe Maria Pfeiffer erhielt nach dem Krieg keine Entschädigung. Über das Schicksal ihres Mannes hat sie in Wittlich nicht gesprochen. Selbst ihrer Tochter erzählte sie nicht die wahre Geschichte.

 Der Wittlicher Bernhard Pfeiffer wurde im März 1945 Opfer der NS-Militärjustiz. Foto: privat

Der Wittlicher Bernhard Pfeiffer wurde im März 1945 Opfer der NS-Militärjustiz. Foto: privat

Wittlich. Im Juli 1965 erhielt Maria Pfeiffer eine Sterbeurkunde, ausgestellt vom Standesamt der Westerwaldgemeinde Dernbach. Demnach sei ihr Mann, der Gefreite Bernhard Pfeiffer (geboren 1920 in Ottweiler/Saar), am 25. März 1945, um 18 Uhr im "Dernbacher Gemeindewald Distrikt Steinberg gefallen". Diese scheinbar amtlich korrekte Mitteilung an die Witwe in Wittlich verschleierte jedoch das wirkliche Schicksal des Obergefreiten Pfeiffer, im Zivilberuf Frisör.
Bernhard Pfeiffer hatte sich zusammen mit einem Kameraden zu einem Zeitpunkt von seiner Truppe abgesetzt, als die 87. US-Infanteriedivision schon Koblenz eingenommen hatte und kurz vor Montabaur stand. Die Einheiten der deutschen Wehrmacht an der Westfront befanden sich trotz aller Durchhalteparolen des NS-Regimes in einem Stadium der weitgehenden Auflösung. Außer einigen Fanatikern der Wehrmacht und der NSDAP glaubte kaum noch jemand an den "Endsieg".
Pfeiffer und sein Kamerad werden in ihrem Versteck denunziert, und in Alsbach wird ihnen von einem Feldkriegsgericht ein kurzer Prozess gemacht. An Material und Sanitätern mangelte es in den letzten Kriegswochen allenthalben, jedoch nicht an Wehrmachtsrichtern, die auch in dieser aussichtslosen militärischen Lage bereit waren, Todesurteile im Schnellverfahren zu verhängen und "zur Abschreckung" und zur "Aufrechterhaltung der Manneszucht" - so die Standardformulierungen in den Urteilen - vor der Truppe auch vollstrecken zu lassen. Unter Bewachung werden die Verurteilten nach Elgendorf getrieben und dort im Wald am 25. März 1945 erschossen. Zunächst werden die beiden Soldaten auf dem Dernbacher Friedhof begraben.
Hinweise auf Misshandlung


Pfeiffers Frau, die mit ihrer 1944 geborenen Tochter in Wittlich lebt, erfährt erst im August 1945 von dem tragischen Tod ihres Mannes. Im Jahr 1949 nimmt die Koblenzer Staatsanwaltschaft auf Betreiben der Angehörigen der beiden Hingerichteten Ermittlungen gegen das ehemalige Kriegsgericht auf, da sowohl Zeugen als auch ein gerichtsmedizinisches Gutachten Hinweise geliefert hatten, dass die beiden "Fahnenflüchtigen" bei ihrer Festnahme und ihrer Hinrichtung in äußerst brutaler Weise misshandelt worden waren.
Schon bald zeigt sich, dass der zuständige Staatsanwalt, ein bereits 1938 am NS-Sondergericht Trier wirkender Jurist, wenig Ermittlungselan aufbringt. Vor allem - so die Einstellungsverfügung vom November 1949 - sei der damalige für die beiden Todesurteile zuständige Kriegsgerichtsrat nicht auffindbar. Eine seltsam anmutende Begründung, selbst wenn man die Verwaltungswirren der Nachkriegszeit in Rechnung stellt.
Dieser langjährige ehemalige Wehrmachtsjurist war zu diesem Zeitpunkt schon "entnazifiziert" ("Mitläufer") und arbeitete offiziell als Jurist im Ruhrgebiet. Ab 1954 ist er als verbeamteter Sozialgerichtsrat in Duisburg tätig und entscheidet in dieser Funktion auch über Versorgungsanträge von Opfern des Faschismus.
Die Witwe Maria Pfeiffer erhielt nach dem Krieg keine Entschädigung. Über das Schicksal ihres Mannes hat sie in Wittlich nicht gesprochen. Selbst ihrer Tochter erzählte sie nicht die wahre Geschichte, wie eine langjährige Freundin und Nachbarin zu berichten weiß. Zu groß war offenbar die Scham - Deserteure galten in der Bundesrepublik über Jahrzehnte als "Drückeberger" und "Vaterlandsverräter", während die NS-Wehrmachtsrichter ausnahmslos ohne juristische Konsequenzen ihre Karrieren bis in die höchsten deutschen Gerichte betreiben konnten.
Im Jahr 1995 findet der Bundesgerichtshof deutliche Worte für die Todesstrafenpraxis der NS-Militärgerichte. Das Gericht nennt diese "rechtsbeugerisch" und bezeichnet die ehemaligen Kriegsrichter als "Blutjuristen".
Rund 200 frühere Deserteure erleben im Mai 2002 noch die pauschale Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure durch eine linke Mehrheit im Deutschen Bundestag. Bis zuletzt waren Feldkriegsgerichte und Standgerichte mit drakonischen Urteilen gegen "Fahnenflüchtige" und "Wehrkraftzersetzer", aber auch Zivilisten vorgegangen und hatten sich so als willfähriges Werkzeug des NS-Regimes erwiesen.
Nach Montabaur umgebettet


Noch Jahrzehnte nach Kriegsende rechtfertigten ehemalige NS-Juristen ihre frühere Tätigkeit als notwendigen Beitrag zur Aufrechterhaltung der "Inneren Front". Der frühere NS-Marinerichter und spätere Ministerpräsident Hans Filbinger hatte 1978 mit seinem Satz "Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein" diesem schändlichen Schauspiel die Krone aufgesetzt, aber auch eine gesellschaftliche Diskussion ausgelöst, die schließlich dazu führte, den wahren Charakter der NS-Militärjustiz als Terrorjustiz einer breiten Öffentlichkeit bewusst zu machen.
Bernhard Pfeiffer ist einer von über 20 000 Opfern der NS-Militärjustiz. Sein Grabstein auf dem Soldatenfriedhof Montabaur, wohin er später umgebettet wurde, erzählt bis heute nichts von seinem Schicksal. Maria Pfeiffer und ihre Tochter, die in Münster lebte, sind verstorben. Die Tochter hinterließ keine Kinder.

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