Langer Atem für "Hartz-IV-Fall"

NEUNKIRCHEN. Unter den Ortsbürgermeistern in der Verbandsgemeinde Thalfang ist er sicherlich eine schillernde Figur: Der 58-jährige Richard Pestemer ist ein engagierter Verfechter der Klimawende und arbeitet als Korrespondent für eine japanische Zeitung. Als "Dorf-Häuptling" will er sich vor allem für den Erhalt der Infrastruktur in Neunkirchen einsetzen.

Bei der ersten Haushaltssitzung, der Richard Pestemer als Ortsbürgermeister vorsitzt, wird es heute Abend keine frohen Botschaften geben: "Wir sind bei den Kommunen das, was man bei Menschen einen Hartz-IV-Fall nennt", erklärt Pestemer dem TV . Das heißt: Die 150-Einwohner-Gemeinde muss auch 2005 mit einem unausgeglichenen Haushalt leben. Der Schuldenstand soll sich Ende des Jahres auf rund 153 000 Euro belaufen.Überzeugen statt missionieren

Der 58-Jährige bedauert, dass es keine Chance gab, die in Neunkirchen gewünschten zwei Windräder zu realisieren. Das Verwaltungsgericht Trier schob wegen der Lage im Naturpark Saar-Hunsrück einen Riegel vor. Pestemer bedauert dies nicht nur aus ökonomischen Gründen. Denn der neue Dorf-Chef engagiert sich seit langem für die Nutzung erneuerbarer Energien in der Region. Er ist Mitveranstalter des Regionalen Klimagipfels und hofft auf die Realisierung eines Zweckverbands erneuerbarer Energien. Damit könne eine Situation geschaffen werden, bei der - nicht wie bisher bei der Windenergie - die einen Gemeinden Gewinner und die anderen Verlierer seien. Pestemer versucht, seine Überzeugungen auch zu leben: Er heizt mit Holz und versorgt sich, Ehefrau Noriko und Sohn Maximilian (16) mit Gemüse aus dem eigenen Garten. Er will nach eigener Aussage "überzeugen, statt zu missionieren". Aber es gelinge ihm nicht immer, sagt er selbstkritisch. Der Vater zweier Kinder hatte sich früher bei den Grünen engagiert, ist dort aber längst ausgetreten. In der Zwischenzeit ist er Mitglied bei der "Vereinigung Bürger für Bürger" und den Freien Wählern in der Verbandsgemeinde. Sein Amt als Ortsbürgermeister will er ohne parteiliche Bindung ausüben. Als die Familie vor 16 Jahren in den Hunsrück zog, "war ich als Grüner, der einen Kinderwagen schob, schon ein Außenseiter".Längst fühlt er sich voll integriert. Dass er bei der Kommunalwahl das Vertrauen der Mehrheit der Bürger bekam, ist wohl das beste Indiz dafür. Denn schließlich "habe ich es ganz aus eigener Kraft geschafft", während bei anderen Kandidaten zumindest die Verwandtschaft als Hausmacht vorhanden sei. Seine Frau Noriko, eine Japanerin, habe ihn ebenso wenig wählen können wie der noch minderjährige Sohn und die 37-jährige Tochter, die in der Eifel lebt. Große Sprünge wird Neunkirchen künftig nicht machen können. Kostenintensive Projekte hat der Journalist, der Japanologie und Politikwissenschaft studiert hat und seit 18 Jahren für die japanische Zeitung "Shakai Shinpo" arbeitet, deshalb nicht auf der Agenda. Sein Hauptziel: die "intakte Rest-Infrastruktur" zu erhalten. Es gibt im Dorf noch eine Kirche, eine Kneipe und den Dorfladen, der ihm besonders am Herzen liegt. Im Geschäft von Elisabeth Schneider ist er deshalb Stammkunde. Um die Dorfgemeinschaft zu stärken, hat er ein neues Gremium geschaffen, die "Werkstatt Dorf". Geplant ist ein Seniorentreff für Neunkirchener, Tallinger und Schönberger. Zunächst einmal "zum Klatsch und Tratsch". Doch dem Dorf-Chef schwebt mehr vor: Er hofft auch auf ein Potenzial für die Bewältigung von gemeindlichen Aufgaben auf freiwilliger Basis. Das Dorf lebendiger machen, das ist Pestemers Ziel. Für eine Politik kleiner Schritte brauche man einen langen Atem. Aber: "Ich bin ein harter Knochen."

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