Lehrstellen gab es nur für Jungen

WITTLICH. "Weißt Du noch?", so lautete die am häufigsten gestellte Frage beim Treff der ehemaligen Handelsschüler, 50 Jahre nach dem Abschluss im Jahr 1956. Mit dabei Johannes Willems, der Schulgründer und Lehrer der Klasse 54/56.

Mit ihrer Mutter zog die Niederkailerin Christa Schneider - der Vater war schon einige Jahre tot - 1954 von Geschäft zu Geschäft in Wittlich, um eine Lehrstelle zu suchen. "Wir fanden keine, aber bei einem Einzelhändler bekam meine Mutter den guten Rat: ,Schicken Sie ihre Tochter zur Handelsschule'", erinnert sich Christa Schneider an ihre Einschulung von damals. Handelsschullehrer Johannes Willems wurde persönlich daheim aufgesucht. Christa wurde eingeschult, plagte sich durch die zwei Jahre, erinnert sich "schon mal an einen Klapps hinter die Ohren, der nur positive Wirkungen hinterlassen hat" und an den Umzug der Schule von der Kurfürstenstraße in den Neubau Friedrichstraße. "Das war deshalb so wichtig, weil wir dort erstmals mit neuen elektrischen Schreibmaschinen arbeiten durften, vorher waren das alte ausrangierte der Kreisverwaltung", erzählt Christa Schneider. Eine Stelle fand Christa danach mit vier weiteren Mitschülerinnen bei der Kreissparkasse. "Natürlich ohne Lehrvertrag, die gab es nur für die Jungen". Mitschülerin Renate "musste zur Handelsschule, obwohl sie sich viel mehr für Kunst interessierte", wie sie sagt. "Du siehst zu, dass du zur Behörde kommst", sagte der Adoptivvater. Nach zwei Jahren Schulbesuch, einem Jahr im Büro der Autowerkstatt Schönhofen war dann die Stelle beim Landratsamt frei. Als ihr dort das große Schreibbüro nicht gefiel ("was hatte das schon mit Kunst zu tun?"), wechselte sie zurück zur Schule, von der sie kam: ins Büro der Berufsschule. "Die Gewöhnung an die Lehrer von früher war natürlich für ein schüchternes junges Mädchen recht schwer", schildert sie ihr damaliges Problem. "Aus allen ist was geworden"

"Die große weite Welt erobert" hat Peter Feilen nach eigenem Bekunden. "Höhere Schule, und das von Minheim aus, ging damals fast nie. Wer mehr wollte, konnte oder durfte, der musste zur Handelsschule", bilanziert er heute den gesellschaftlichen Wert der "Mittleren Reife", die man so erlangen konnte. Bei Peter folgte die Höhere Handelsschule in Trier, die Wirtschaftsoberschule, eine Banklehre und nebenbei noch eine Ausbildung als Steuerberater. So war er bei einer Trierer Bank willkommen. "Aber 400 Mark Monatsverdienst waren meiner damaligen Braut zu wenig." In Düsseldorf verdiente er anschließend das Fünffache. Dort engagierte er sich politisch und stellte zusammen mit anderen die alte Stadtratsriege der 70 000-Einwohner-Stadt Kaarst auf den Kopf. Er wurde ehrenamtlicher Bürgermeister und blieb es drei Jahrzehnte. Er gründete aus seiner Sicht zum richtigen Zeitpunkt die Firma PC-tronic, die er heute mit seiner Familie erfolgreich leitet. "Aus allen ist was geworden." Sichtlich stolz interessierte sich Johannes Willems, Klassenlehrer von damals, vor allem für die Zeit seiner Ehemaligen zwischen Schulabschluss und Pensionierung. Er war damals mit seinem Studium der Wirtschaftspädagogik der Wegbereiter der Wiedergründung der Handelsschule im Jahr 1954 gewesen. Zuvor gab es die Schulform schon in den 30er Jahren. "Bürofachkräfte wurden beim Wiederaufbau nach dem Krieg dringend gesucht", erinnert er sich. Die Klasse 54/56 ist ihm vor allem noch in Erinnerung wegen der Abschlussfahrt nach Amsterdam. "Es war damals, zehn Jahre nach Kriegsende, nicht so einfach, unseren holländischen Nachbarn einen Besuch abzustatten".

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