Lesung Das Grauen des Fotografen im Konzentrationslager

Morbach · Nur wenige Zuhörer kamen zu einer Lesung ins Morbacher Café Heimat, bei der Autor Reiner Engelmann Erlebnisse eines Auschwitz-Insassen erzählte.

 Der Hunsrücker Buchautor Reiner Engelmann im Café Heimat in Morbach.

Der Hunsrücker Buchautor Reiner Engelmann im Café Heimat in Morbach.

Foto: Christoph Strouvelle

Das Grauen des Dritten Reichs wird dann besonders anschaulich, wenn man es aus Sicht einer Einzelperson schildert. Das haben die Besucher einer Lesung mit dem Buch­autor und Sozialpädagogen Reiner Engelmann aus Völkenroth im Café Heimat erleben können. Engelmann hatte sich mit Wilhelm Brasse unterhalten, dem Fotografen aus Auschwitz, der ihm seine Erlebnisse aus dem Konzen­trations­lager geschildert hat.

Brasse war Pole und kam nach verschiedenen Aufenthalten in Arbeitslagern als 22-Jähriger bereits 1940 nach Auschwitz. Nach einem halben Jahr, in dem er in verschiedenen Arbeitskolonnen eingesetzt wurde, unter anderem als Leichenträger, erhielt er als gelernter Fotograf den Auftrag, die Insassen abzulichten. An die 50 000 Menschen habe Brasse bis zur Auflösung des Lagers 1945 im Bild festgehalten, sagt Engelmann. Wer fotografiert wurde, kam in eine Arbeitskolonne, wer nicht fotografiert wurde, kam in die Gaskammer. Weitere Beispiele, die den Zuhörern im Café Heimat schier den Atem verschlagen haben, waren Schilderungen wir diese: Lagerärzte haben sich aus der Haut tätowierter Menschen Buch­einbände herstellen lassen. Bei einem Weihnachtsappell im Freien bei Minusgraden lagen unter einem Christbaum Leichen, während „Stille Nacht, Heilige Nacht“ gesungen wurde. Brasse bat einen als brutal bekannten Kapo, drei Insassen, die ihm bekannt waren, so umzubringen, dass sie nicht lange leiden müssen. Er fotografierte Zwillinge, an denen der berüchtigte Lagerarzt Mengele seine Experimente machte. 

Brasse überlebte 1945 den Abzug im tiefen Winter aus Auschwitz mit Fahrten in offenen Güterwaggons und kehrte zurück in seine Heimatstadt bei Kattowitz, wo er seine ganze Familie antraf.

Nach der 90 Minuten langen Veranstaltung, die als Lesung angekündigt war, die Engelmann aber als freie Rede hielt, entspann sich unter den Zuhörern eine Diskussion mit dem Autor. Er hat sich mit vielen Zeitzeugen unterhalten und weitere Bücher zu den NS-Gräueltaten geschrieben und geht damit auch in Schulen.

Bleibt nur die Frage, warum lediglich drei Zuhörer zur Lesung ins Café Heimat gekommen sind. Ist Auschwitz ein solch schwieriges Thema? Oder ist die Verbindung von Ausch­witz-­Erzählungen mit den angebotenen Käse-Schinken-Tellern unpassend gewesen? Inhaber Alfons Schramer will jedenfalls neben seinen sonstigen Veranstaltungen Engelmann auch 2022 erneut einladen.

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