Mädchen in Merscheid kommt ohne Augen zur Welt

Merscheid · Der Schreck packt die Merscheider Andreas und Martyna Nau direkt nach der Geburt ihrer Tochter: Die kleine Amelie ist ohne Augen zur Welt gekommen. Um Gerüchten vorzubeugen, gehen sie an die Öffentlichkeit und informieren ihr Umfeld über die Beeinträchtigung ihrer Tochter.

 Sie freuen sich über ihre Tochter: Andreas und Martyna Nau mit der kleinen Amelie. TV-Foto: Christoph Strouvelle

Sie freuen sich über ihre Tochter: Andreas und Martyna Nau mit der kleinen Amelie. TV-Foto: Christoph Strouvelle

Merscheid. Amelie ist am 1. August 2013 in Traben-Trarbach geboren. Bei der Geburt war sie 54 Zentimeter groß und 3420 Gramm schwer. Dies steht auf dem pinkfarbenen Schild in Form eines kleinen Autos vor einem Merscheider Haus. Viele Eltern geben so der Freude über ihr neugeborenes Kind Ausdruck.
Doch in die Freude über Amelie mischt sich Betroffenheit. Denn das neugeborene Mädchen wird nach dem derzeitigen Stand der Medizin nie sehen können. Ihre Augen haben sich während der Schwangerschaft im Mutterleib nicht ausgebildet. Die Kleine hat damit eine Benachteiligung, die sich klinischer Anophthalmus nennt. Dort, wo sich normalerweise die Augäpfel befinden, sind nur zwei stecknadelgroße Löcher. Die Gründe, warum sich die Augen bei wenigen Embryos im Mutterleib nicht ausbilden, sind bisher unbekannt und werden noch erforscht. In den vergangenen 15 Jahren sind in Deutschland 130 Kinder mit diesem Defekt geboren worden.
Dumme Fragen sind erlaubt


Den Geburtshelfern im Krankenhaus war aufgefallen, dass Amelie nach der Geburt die Augen nicht geöffnet hatte. Ein Kinderarzt und ein Augenarzt stellten einen Tag später die Beeinträchtigung fest.
"Jetzt geht es mir wieder gut, aber im ersten Moment ist bei mir innerlich eine Welt zusammengebrochen", beschreibt Vater Andreas Nau, von Beruf Betriebselektriker, seine Reaktion, als er erfahren hat, dass seine Tochter voraussichtlich nie sehen wird. "Es hat uns total unvorbereitet getroffen. In den ersten Tagen haben wir viel geweint", sagt seine Frau Martyna, die als Zahnarzthelferin tätig ist. Doch dann haben sich die beiden 28 Jahre alten Eltern den Realitäten gestellt. Bei einem ersten Gespräch mit einem Spezialisten in der Göttinger Uniklinik haben sie mehr über die Krankheit erfahren. Das Wichtigste: Ihre Tochter ist abgesehen vom Augendefekt ein ganz normal entwickeltes Kind. Alle Reflexe sind vorhanden. Kreislauf, Verdauung und weitere Körperfunktionen sind ohne jede Beeinträchtigung.
In einem ersten Schritt werden Amelie im Alter von drei Monaten Augenimplantate aus Kunststoff eingesetzt, um zu verhindern, dass die Augenlider nach innen wachsen und sich dort Entzündungsherde bilden. Mehrfach werden die Einsätze später ausgetauscht, um sie dem Wachstum des Kindes anzupassen.
Nach einem Jahr erhält Amelie Implantate aus Keramik, umgangssprachlich Glasauge genannt. Das junge Elternpaar macht sich bereits Gedanken für die Zukunft von Amelie. Sie überlegen, welchen Kindergarten Amelie besuchen kann, was Inklusion bedeutet und wissen, dass im saarländischen Lebach eine Schule für Sehbehinderte ist. Aber ihre Tochter soll so normal aufwachsen, wie es ihr möglich ist. Andreas und Martyna Nau wissen jetzt, dass andere Jungen und Mädchen, die von klinischem Anophthalmus betroffen sind, die Schule besuchen und sportliche Aktivitäten betreiben wie Joggen, Schlittschuh laufen oder Inline skaten.
Um Gerüchten entgegenzuwirken und ihr Umfeld aufzuklären, hat sich das junge Elternpaar entschlossen, an die Öffentlichkeit zu gehen. "Wenn Leute aus Rücksichtnahme nicht fragen, dann wissen sie nichts über den Defekt, und dann kommen Gerüchte", sagt Andreas Nau. Die Menschen können ruhig offen auf das Elternpaar zugehen, sagt er. "Keine Angst vor dummen Fragen, die gleichen Fragen haben wir dem Arzt auch gestellt", sagt er. Die ersten Reaktionen von Verwandten, Freunden und Bekannten seien aufbauend und mitfühlend gewesen.
"Amelie wird es nicht anders kennen. Sie wird mit ihrer Blindheit aufwachsen, so dass es für sie normal sein wird", sagt Vater Andreas. Dass die Erziehung von Amelie trotzdem mehr Aufwand erfordert als bei einem sehenden Kind, ist den Eltern klar. Doch das bekommt man alles hin, sagen sie. Mutter Martyna: "Wir akzeptieren die Kleine so, wie sie ist, und wir geben sie nicht mehr her." cst

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