Meister der Improvisation

WITTLICH. (peg) Mit dem Trompeter Tomasz Stanko gastierte eine absolute Größe des europäischen Jazz im "Hotel Lindenhof". Kühle, intellektuelle Improvisationen bestimmen seinen Stil.

Mit Tomasz Stanko kam ein langjähriger Wunschkandidat des Jazz-Clubs an die Lieser. Drei noch junge Kollegen hatte der polnische Ausnahmemusiker aus seiner Heimat mitgebracht: Marcin Wasilewski am Piano, Slawomir Kurkiewicz am Bass und Percussionist Michael Miskiewicz, seit Jahren auch zum Trio zusammengeschlossen, harmonierten in wohltuender Professionalität mit dem virtuos gespielten Instrument des Altmeisters. Einer, der Stanko bereits 1960 in Krakau kennen und schätzen gelernt hatte, führte zu der nicht für jeden leicht zugänglichen Musik hin, die ihre Fans über den Kopf, nicht über den Bauch oder die Beine anspricht. Eckhard Bose war 20 und Student in Jena, Stanko 19, als sich die beiden in halblegalen Musikkellern begegneten. Immerhin sei der Jazz in Polen "der Inbegriff der Freiheit und ein entscheidender Wegbereiter der Entstalinisierung" gewesen, so Bose später. Vier Jahre lang war Stanko im legendären Quintett des Pianisten Krzysztof Komeda dabei, mit dem er Musik für Polanski-Filme einspielte, im Taj Mahal hat er ein Soloalbum aufgenommen und in den 80ern mit synthetischen Klängen experimentiert, bevor er zu seinen Wurzeln zurückfand. Als "schmutzig" und dennoch kristallklar bezeichnen Kritiker den unverkennbaren Sound der Stanko-Trompete, der ihm 2003 den Europäischen Jazzpreis einbrachte. Ein bisschen kratzig, ein bisschen mit Obertönen, kaum beeinflusst vom amerikanischen Jazz, immer dominiert von Improvisationen, "geprägt vom blitzschnellen Prozess des Schaffens, der genauso lange dauert wie das Werk selbst", wie Stanko es in Interviews ausdrückt. Bei vier introvertierten Profis auf der Bühne mochte es nicht wundern, dass die zwar sich selbst die Bälle zuwarfen, weniger jedoch dem Publikum, was manche irritierte, andere zu dem Kompliment hinriss: "Die waren total bei sich." Neben dem hochphilosophischen "Chef im Ring" gefiel besonders Marcin Wasilewski am Piano. Weit weniger distanziert ging es nach dem Konzert zu, als die Bandmitglieder sich zu den übrig gebliebenden Besuchern setzten und, zumindest im Falle Stankos und Boses, sogar persönliche Erinnerungen austauschen konnten.

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