Mit Ecken und Kanten

Ich gebe es zu: Ich habe schon mal bei einem Billig-Discounter Wein gekauft - einen Rotwein aus Kalifornien. Zu Hause die Überraschung: Der Wein war perfekt - glatt, geschmeidig, mit einem betörenden Vanillearoma.

Eine Woche später kaufe ich den gleichen Wein noch mal. Doch diesmal sagen mir Gaumen und Zunge etwas anderes. Der Wein ist zu glatt, zu geschmeidig. Oder anders gesagt: Der Wein ist geglättet, er hat keine Ecken und Kanten - ein von der Weinindustrie perfekt gestyltes Produkt. Solche Weine kann man trinken, aber ich schätze "handgemachte" Weine. Weine, die die Handschrift des Winzers erkennen lassen. Weine, die zeigen, dass Weinbau und Kellerwirtschaft ein Handwerk sind und keine Industriebranche. Gerade dieser Aspekt, dass der Winzer "Handwerker" ist, wird dem Weintrinker viel zu wenig vermittelt. Man denke an ein Möbelstück. Man kann sich einen Stuhl im großen Möbelhaus kaufen, hergestellt in einer Stuhlfabrik irgendwo in Osteuropa. Ein schöner Stuhl, modernes Design, gut verarbeitet und stabil. Lasse ich mir aber einen Stuhl beim Möbelschreiner machen, ist er etwas Besonderes. Ein Unikat, vielleicht auch ein Möbelstück mit Ecken und Kanten - auf jeden Fall viel teurer als der Stuhl aus der Fabrik. Es steckt ja auch viel mehr Handarbeit darin. Das Gute beim Wein: Ein individueller Wein, hergestellt von einem guten Winzer, ein Unikat sozusagen, ist im Vergleich zum Industriewein vergleichsweise preiswert. An der Mosel gibt es zig Betriebe, die hervorragende Weine machen, Weine mit Charakter und Finesse. Weine, wie man sie nur bei diesem oder jenem Winzer bekommt. Also, liebe Weinfreunde, probiert euch durch, geht zum Winzer und mutet euren Gaumen und Zungen etwas zu. Es gibt viel zu probieren, fangt heute noch damit an. Winfried Simon

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