Moritz Dublon - boykottiert, deportiert und ermordet

Wittlich · Mit einer Mahnwache, Kranzniederlegung und einer Text-Musik-Collage in der Synagoge gedenkt Wittlich an den Novemberpogrom 1938 am Sonntag, 9. November. Das Schicksal der Familie Dublon steht beispielhaft für das Leid, das jüdische Bürger aus Wittlich erleiden mussten.

Wittlich. Im Jahr 1935 mussten deutsche Juden zunehmend mit Übergriffen aus den Reihen der SA, der Partei- und "Volksgenossen" rechnen und etliche "rechtliche" Regelungen des NS-Regimes sorgten dafür, dass ihr bürgerliches Leben zunehmend beschränkt wurde.
Bei so genannten "Wilden Aktionen" kam es immer wieder zu Gewaltexzessen, mit denen der Auswanderungsdruck auf die jüdische Gemeinschaft erhöht wurde. Die jüdische, aber auch ausländische Presse berichteten regelmäßig über Verkaufsverbote an und bei Juden, von den Gemeinden "erlassene" Zuzugsverbote und öffentliche Anprangerungen von "Rassenschändern". Diese Maßnahmen des "gesunden Volksempfindens" - so der NS-Jargon - wurden angeblich von der NS-Führung missbilligt, geduldet wurden sie trotzdem und nur selten wirklich unterbunden.
Unter der Überschrift "Morddrohung gegen Juden" war am 14. August 1935 im "Escher Tageblatt", einer der beiden großen Zeitungen Luxemburgs, zu lesen: "Das Städtchen Wittlich an der Mosel steht in seinem Judenhass in den letzten Tagen unzweifelhaft an der Spitze der Nazibewegung überhaupt. In der Stadt sind Plakate angeschlagen worden, auf denen den Wittlicher Juden verboten wird, ihre Häuser nach 8 Uhr abends zu verlassen (ab 1. Oktober um halb 8 Uhr) und ihnen gleichzeitig der sonntägliche Spaziergang verboten wird. Wer diesen Befehlen zuwiderhandelt, muss sich eventuell Überfälle durch die deutsche Bevölkerung gefallen lassen. Wer dagegen freies Geleit nach Palästina wünscht, ohne zurückzukehren, erhält das in Wittlich gerne. Das Zirkular enthält im Übrigen ganz gemeine und niedrige Beschimpfungen gegenüber den Juden überhaupt."
Der Viehhändler Moritz Dublon



Ein frühes Opfer dieses Judenhasses wurde in Wittlich der Viehhändler Moritz Dublon. Als früherer Stadtverordneter (1924 bis 1928) und langjähriges Mitglied im Repräsentantenkollegium der Synagogengemeinde (1921 bis 1939) lebte Moritz Dublon (geb. 1883) als angesehener Bürger in der Oberen Kordel 20 zusammen mit seiner aus Binningen stammenden Frau Julia.
Das Paar hatte drei Kinder, die alle in Wittlich geboren wurden: die beiden Töchter Margarete (geb. 1913) und Ilse (geb. 1923) und den Sohn Walter (geb. 1916). Während des Ersten Weltkrieges war Moritz Dublon bei der Artillerie eingesetzt. Eigentlich wollte der musikalisch begabte Mann - er spielte mit Leidenschaft Geige und war Mitglied im Synagogenchor - Lehrer werden, trat aber dann auf Wunsch des Vaters in das Viehhandelsgeschäft ein.
Als einziger Wittlicher Viehhändler besaß er die Konzession, das Fleisch der in TBC-Beständen geschlachteten Tiere an Wurstfabriken zu verkaufen. Auch verfügte er schon früh über einen eigenen Kraftwagen mit Anhänger, sodass er Rinder aus Norddeutschland in die Wittlicher Senke "importieren" konnte. Mit Beginn der Nazizeit gehen Dublons Geschäfte rapide zurück, weil insbesondere die Großbauern der Region ihm den Handel und ausstehende Zahlungen verweigern. Schon im Herbst 1934 muss er einen Teil seines Besitzes zum Begleichen der Schulden verkaufen.
Einer Verhaftung im September 1935, als 400 Menschen nach einer Parteiveranstaltung zum Thema "Wir bleiben Antisemiten!" vor seinem Haus randalieren, kann er sich durch rechtzeitige Flucht nach Luxemburg entziehen. Dort lebt er fast ein Jahr bei seiner Schwester, bevor er sich wieder in seine Heimatstadt zurückwagt.
Zum 1. September 1937 entziehen ihm die Wittlicher Naziherren die Handelserlaubnis. Beim Pogrom am 10. November 1938 werden die gutbürgerliche Einrichtung seines Hauses und das gesamte Inventar der koscheren Küche so demoliert, dass die Familie Dublon zu einem befreundeten Juden ziehen muss. In einer kargen Einzimmerwohnung harrt das Ehepaar noch einige Monate in Wittlich aus, unterstützt von der Luxemburger Schwester. Ende Juli 1939 ziehen Moritz und Julia Dublon zusammen mit ihrer jüngsten Tochter Ilse und der damals 83jährigen Mutter nach Köln. Dort stirbt Emilie Dublon im Dezember 1941 an Altersschwäche.
Walter Dublon - der Zionist



Sohn Walter führte bereits in Wittlich als so genannter "Agudhaleiter" eine Gruppe des zionistischen Jugendverbandes "Habonim". Diese "Bauleute" sahen für junge Juden in Deutschland keine Zukunft und bereiteten ihre Mitglieder auf die Auswanderung nach Palästina vor. Nach der "Arisierung" des Geschäfts seines Arbeitgebers Josef Bender am Marktplatz im Frühjahr 1937 geht der gelernte Textilkaufmann nach Flensburg, um eine landwirtschaftliche Ausbildung bei der "Hachaluz", den "Pionieren", zu absolvieren. Danach leitet er für einige Monate zionistische Jugendgruppen in Elberfeld und Essen. Über Wien und die Tschechoslowakei gelangt Walter Dublon im März 1939 per Schiff nach Palästina und wird zunächst Mitglied in der Gemeinschaftssiedlung "Beth Hashita" und später im Kibbuz "Beit Haarava" am Toten Meer. Im Juli 1947 heiratet er die Kindergärtnerin Dora Fajnchak, mit der er zwei Kinder hat: Sohn Ehud und Tochter Varda. Die längste Zeit seines Lebens arbeitete Walter Dublon, der sich in Israel Jehuda Dublon nennt, als Leiter der Revisionsabteilung einer Textilfabrik in Ramat Gan. Er stirbt Anfang März 1993. Wittlich hatte er noch mehrmals besucht. Am offiziellen Einladungsprogramm der Stadt Wittlich im Mai 1991 konnte er krankheitsbedingt nicht mehr teilnehmen, was er in Briefen an Wittlicher Freunde sehr bedauerte. Seine beiden Schwestern Ilse und Margarete hatten Nazi-Deutschland ebenfalls noch rechtzeitig verlassen und wurden Mitglieder von jüdischen Gemeinschaftssiedlungen, wo sie bis zu ihrem Tod (1974 bzw. 1994) mit ihren Familien lebten.
Moritz und Julia Dublon

 Eidesstattliche Erklärung von Paul Bender. Foto: Amt für Wiedergutmachung Saarburg

Eidesstattliche Erklärung von Paul Bender. Foto: Amt für Wiedergutmachung Saarburg



Moritz und Julia Dublon fanden auch in Köln keinen sicheren Platz, um dem NS-Terror zu entkommen. Am 20. Juli 1942 wurden sie zusammen mit über 1100 deutschen Juden aus Köln und dem Kölner Umland nach Minsk deportiert. Dieser Transport kommt nach vier Tagen auf dem Güterbahnhof der weißrussischen Hauptstadt an. Männer, Frauen und über 100 Kinder unter zehn Jahren werden erst gar nicht mehr in das Minsker Ghetto gebracht, sondern gleich in das bis heute wenig bekannte Todeslager Malyi Trostenez, dem größten deutschen Vernichtungslager auf dem Boden der Sowjetunion. Wie viele Menschen dort ermordet wurden, kann bis heute nur geschätzt werden. Zwei der vermutlich über 60 000 Opfer waren die Wittlicher Moritz und Julia Dublon, die unmittelbar nach Verlassen des Zuges entweder erschossen oder in einem der bereitstehenden Gaswagen ermordet wurden. In der früheren Sowjetunion war die Erinnerung an ermordete Juden weitgehend tabu. Dabei soll es nicht bleiben: Das Dortmunder Internationale Bildungs- und Begegnungswerk hat schon über 500 000 Euro Spenden für ein Mahnmal und eine kleine Gedenkstätte gesammelt, in der die individuelle Erinnerung an alle Opfer des Lagers wach gehalten werden soll. Erinnerungsarbeit ist auch im Jahr 2014 nicht frei von politischen Interessen. So protestierten Alt stalinisten dagegen, dass künftig auch die in Trostenez von den deutschen Besatzern erschossenen russischen Kriegsgefangenen in das Gedenken einbezogen werden. Zu Stalins Zeiten galten diese schlichtweg als "Volksverräter" und nicht als ehrenwerte Helden der glorreichen Roten Armee.

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