Mut zum Schlürfen

Unsere letzte Weinkolumne beschäftigte sich, wie Sie sich sicher noch erinnern können, mit der Blauzungenkrankheit. Blaue Zungen bekommen Weinfreunde dann, wenn sie ganz dunkelfarbige Rotweine genossen haben.

Das ist also keine Krankheit, sondern eher ein Zeichen von Genussfreude. Überhaupt, die Zunge: Sie ist ein wunderbares Organ. Sie formt Laute zu Wörtern, sie transportiert die Speisen in die Speiseröhre, und sie dient verliebten Menschen dazu, sich nicht nur verbal auszutauschen. Vor allem ist sie aber das Organ, welches uns das Schmecken ermöglicht. Kürzlich saß bei einer hochkarätigen Weinprobe ein Zeitgenosse neben mir, der bei einer 2005er edelsüßen Auslese meinte: "Der ist aber süß." Der Mann ist zu bedauern. Zucker ist süß, Lutschbonbons und Gummibärchen ebenfalls. Einen edelsüßen Riesling nur mit dem Attribut "süß" zu belegen, ist schlichtweg dumm. Was kann man nicht alles schmecken, wenn man einen solchen edlen Tropfen schlürft, kaut und über Zunge und Gaumen rollen lässt. Aprikosen, Pfirsiche, Orangen, Rosinen, Honig und noch viele andere herrliche Fruchtaromen. Man muss sich nur Zeit nehmen, vergleichen und vor allem üben, und immer wieder üben. Und dafür gibt es doch wahrlich Gelegenheiten genug. Ob beim Weinfest der Mittelmosel an diesem Wochenende in Bernkastel-Kues, wo zahlreiche Winzer ihre besten Gewächse präsentieren, oder bei dem ein oder anderen Straßenweinfest, die in diesen Wochen Hochkonjunktur haben: An "geeignetem Material" zum Üben fehlt es hierzulande nicht. Winfried Simon

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