Auslese Die stillen Helden im Fokus

Mit leiser Stimme spricht Allen Gao in das auf einem Tischstativ befestigte Smartphone. Er kommentiert eine Weinprobe im Weingut Selbach-Oster in Zeltingen, an der rund zwei Dutzend weitere Journalisten aus der ganzen Welt von China bis Großbritannien teilnehmen.

Es ist eine spezielle Weinprobe für Fachleute zu Mythos Mosel. Noch bevor der Publikumsverkehr um 11 Uhr beginnt, treffen sich die Journalisten um 9 Uhr und kosten Kabinett-Weine aus den Jahren 1975 bis 2017. Der aus Shanghai stammende Chinese berichtet in seinem Live-Blog im Internet von der Probe. „Das ist wie in den Ferien hier. Es ist eine sehr schöne Landschaft“, sagt Gao, der zum ersten Mal an der Mosel ist. Er habe viele Abonnenten: „Meine Landsleute sind sehr an der Mosel und am Wein interessiert, und Mythos Mosel ist in China schon unter Fachleuten bekannt“, versichert Gao.

Während Auslesen und Spätlesen auf Auktionen bisweilen Erlöse im Zehntausend-Euro-Bereich erzielen und daher einen hohen Bekanntheitsgrad haben, führt der Kabinett bislang auf der internationalen Ebene ein Schattendasein. Das könnte sich nach dieser Probe, bei der nur Kabinett-Weine gereicht wurden, ändern. Gao und seine Kollegen waren sichtlich überrascht, als sie Jahrzehnte alte Weine kosteten, die immer noch Charakter haben und trinkbar sind. Der älteste Wein war ein 1975er Reiler Sorrentberg: Ein solider Körper mit Fenchel und Anis in der Nase sorgte für staunende Gesichter. Die jüngeren Weine wurden noch euphorischer aufgenommen. Weine mit viel Charakter, die lange auf der Flasche bleiben können und zwei große Vorteile bieten: Zum einen haben sie einen eher geringeren Alkoholgehalt – man kann also mehr trinken –, und zum anderen sind sie preisgünstiger als Auslesen oder Spätlesen. Der Kabinett ist noch ein stiller Held in der Weinszene – aber nicht mehr lange.

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