Nahwärmenetz: Geschichte eines Scheiterns

Eine Woche ist es her, dass das 12,3 Millionen Euro teure Nahwärmeprojekt im Gemeinderat in nicht-öffentlicher Sitzung gekippt wurde. Immer noch sind viele Fragen offen: Wie kam es dazu? Welches sind die Knackpunkte? Und wie geht es weiter?

Morbach. Das Nahwärmenetz wäre eines der größten Projekte in der Geschichte der Einheitsgemeinde gewesen. In der Dimension ist es offenbar auch in Rheinland-Pfalz einmalig. In dem zweieinhalb Jahre langen Entscheidungsprozess gab es in der Kommunalpolitik kaum öffentliche Kritik. Wie kam es zum plötzlichen Aus?

Das geplante Projekt: In der Sitzung am Montag vor einer Woche sollte neben einem 9,7 Kilometer langen Leitungsnetz ein Heizwerk mit zwei Kesseln - einem sogenannten ORC-Modul (Organic Rankine Cycle) mit einer Wärmeleistung von 3,2 Megawatt und einem normalen Hackschnitzelkessel mit einer Wärmeleistung von 4,0 Megawatt - ausgeschrieben werden. Das Besondere am ORC-Modul: Neben Wärme produziert ein solcher Kessel auch Strom. Damit wurde aus dem reinen Heizwerk ein Kraftwerk. Die elektrische Leistung sind 500 Kilowatt. Der Stromverkauf hätte im Jahr einen Erlös von 700 000 Euro gebracht. Das ORC-Modul war ins Spiel gekommen, als klar wurde, dass die Gemeinde kein Geld aus dem Konjunkturpaket II bekommt.

Die Idee: Die Gemeinde Morbach will bis zum Jahr 2020 energieautark werden. Das ist Kerngedanke eines Leitbilds, das im November 2008 verabschiedet wurde. Ein wichtiger Baustein sollte die Nahwärmeversorgung von öffentlichen Einrichtungen und Privatgebäuden sein. Der zweite Aspekt: Die Gemeinde will in Sachen Heizung möglichst ihre eigenen Gebäude und möglichst viele Privathäuser vom Ölpreis abkoppeln.

Die Organisationsform: Federführend bei dem Vorhaben sollte eine Anstalt Öffentlichen Rechts (AöR) werden. Die Gemeinde sollte Eigentümer werden und als Gewährsträger fungieren. Das heißt: Sie hätte finanziell einspringen müssen, wenn die AöR nicht mehr liquide gewesen wäre. Im Auftrag der AöR hätte die Morbacher Firma Ludwig Kuntz GmbH das Heizkraftwerk betrieben. Der Vertrag sollte über zehn Jahre laufen. Eine längere Laufzeit ist rechtlich nicht möglich.

Die Lage im Vorfeld: Noch im Dezember schien an der Nahwärme-Front alles ok zu sein. Die Fraktionen äußerten sich in der Haushaltssitzung durch die Bank positiv zu dem Thema. Die SPD sprach allerdings von offenen Fragen, die Freien Wähler Morbach (FWM) wollten die Verträge mit den Abnehmern und dem Betreiber des Heizwerks einsehen. Das Millionenprojekt an sich segnete der Gemeinderat bereits im September 2010 ab - bei einer Enthaltung und zwei Nein-Stimmen. Für den Fall, dass die Wirtschaftlichkeit in Frage gestellt wäre, sollten die Gremien sich nochmals mit dem Thema befassen. Das hätte man letztlich erst nach der Vorlage der Ausschreibungsergebnisse wissen können. Dennoch wollte die Rathaus-Spitze sich auch die Ausschreibung von der Politik absegnen lassen. Das Ergebnis ist bekannt. Sie wurde gekippt.

Die Entscheidung: Im Ortsbeirat Morbach, der gemeinsam mit dem Gemeinderat Morbach hinter verschlossenen Türen tagt, gibt es ein Patt. Das bedeutet: Das Gremium empfiehlt die Ausschreibung nicht. Anschließend lehnt der Gemeinderat die Ausschreibung ab. Stattdessen soll nach dezentralen Lösungen gesucht werden. Letzteres ist der Tenor eines Antrags von FWM, SPD, Linke und dem parteilosen Ratsmitglied Hans-Georg Gröber. Die antragstellenden Gruppierungen haben mit zwölf Sitzen im 28-köpfigen Rat keine Mehrheit. Sie bekommen Schützenhilfe von drei weiteren Politikern, zwei von ihnen aus den Reihen der CDU, einer aus der Fraktion der Grünen.

Die Kritikpunkte: Die Stromproduktion sollte über das ganze Jahr hinweg einen entscheidenden Beitrag für die Wirtschaftlichkeit leisten. Für die dabei anfallende, überschüssige Wärme musste deshalb ein Großabnehmer für den Sommer gesucht werden. Das sollte die Firma Kuntz sein, die mit der Wärme Schnittholz trocknen wollte. Die "Abhängigkeit von einem einzigen Vertragspartner" war FWM, SPD und Linke zu groß. Skepsis gab es offenbar auch bei der Dimension des Projektes. Im Rathaus räumt man ein Restrisiko ein. Das halten Bürgermeister Gregor Eibes und die Befürworterfraktionen CDU, FDP und Grüne allerdings für überschaubar. Statt das Netz in Eigenregie zu betreiben, wie es der Rat im Februar 2009 beschlossen hatte, hätte es auch die Möglichkeit gegeben, ein Versorgungsunternehmen zu beauftragen. In dem Fall hätte das Risiko beim Betreiber gelegen. Aber: Die Firma hätte dann auch den finanziellen Vorteil abgeschöpft.

Die Folge: Nach zweieinhalbjährigem Engagement ist das konkret geplante Morbacher Modellprojekt vom Tisch. Die von FWM, SPD und Linke favorisierten kleineren dezentralen Nahwärmenetze, die öffentliche Einrichtungen und private Gebäude versorgen, sind grundsätzlich möglich. Ob sie wirtschaftlich sind, können Planer nur von Fall zu Fall klären. In Hermeskeil und Thalfang sind sogenannte Mikronetze in Betrieb, allerdings mit Zuschüssen aus dem Konjunkturpaket II.

Tiefe Zäsur

Verpasste Chance oder Abwendung eines untragbaren Risikos? Welche Beschreibung auf das gekippte Morbacher Großprojekt besser zutrifft, dürfte eine Glaubensfrage bleiben. Morbach hätte mit dem Bau des Vorhabens sein Image als Gemeinde der erneuerbaren Energien ausbauen können und den Bürgern Wärmepreise anbieten können, die vom Ölpreis unabhängig sind. Wäre auf der anderen Seite das Projekt schiefgelaufen, wären die Kommunen lange finanziell auf keinen grünen Zweig mehr gekommen. Die Entscheidung in der vergangenen Woche bedeutet jedenfalls nicht nur das endgültige Aus für das ehrgeizige Millionenprojekt. Sie bedeutet auch eine tiefe Zäsur in der Kommunalpolitik der Kommune. Das Verhältnis zwischen den einzelnen Fraktionen dürfte nachhaltig gelitten haben, nachdem plötzlich eine Koalition aus FWM, SPD und Linke das Nahwärmenetz zum Kippen brachte, obwohl es zumindest Freie Wähler und Sozialdemokraten bislang mitgetragen hatten. In Morbach sind knappe Entscheidungen in den vergangenen Jahren völlig unüblich gewesen. Für Rathaus-Chef Gregor Eibes (CDU) dürfte das Regieren in Zukunft deutlich schwerer werden. Dass die Christdemokraten in Morbach keine absolute Mehrheit haben, hat lange keine Rolle gespielt. Schließlich stärkten bislang auch die Freien Wähler "ihrem" Bürgermeister den Rücken. Sie hatten ihn 1997 zu ihrem Kandidaten gekürt, als die CDU letztlich erfolglos auf einen auswärtigen Bewerber gesetzt hatte. Doch Eibes ist nicht nur Verwaltungschef in Morbach, sondern auch Bewerber für das Landratsamt in Bernkastel-Wittlich. Sein Image als smarter Bürgermeister mit dem glücklichen Händchen hat auch einen Kratzer bekommen. i.rosenschild@volksfreund.de

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