Netzwerk für psychisch Kranke

WITTLICH. (peg) Fachleute an einem Tisch: In der Selbsthilfegruppe "Wende Treppe" geben sich psychisch Kranke gegenseitig wertvolle Tipps und Halt in schlechten Zeiten.

Sie schaut schon lange nicht mehr auf die Diagnose. Wenn sich ein Mensch an Elisabeth Pütz wendet, Leiterin der Selbsthilfegruppe "Wende Treppe", schaut sie sich an, wen sie vor sich hat, hört zu, was er sagt, und reagiert spontan nach Bedarf: mit ihrem auf großer Erfahrung gegründeten Einfühlungsvermögen. Dass dies weder gefährlich noch untragbar ist, zeigten viele andere Nationen, berichten ihre Mitstreiter. "Deutschland und gerade auch unsere Gegend kann man als Entwicklungsland im Bereich der psychischen Krankheiten bezeichnen", klagt sie. Weggesperrt, ruhig gestellt, voll gepumpt mit Medikamenten, die starke Nebenwirkungen haben und oft in die Abhängigkeit führen und einen späteren Entzug nötig machen: Die im Haus der Selbsthilfe Versammelten teilen die immer gleichen Erfahrungen.Engmaschige Betreuung in den eigenen vier Wänden

Dabei geht alles auch ganz anders, berichten sie. Engmaschige Betreuung in den eigenen vier Wänden lautet das Zauberwort. Italien und Skandinavien machen es uns vor. "Dort nutzen die Therapeuten psychische Schübe dafür, an den Kern des Problems heranzukommen", weiß Helga (Namen von der Redaktion geändert). Die Gefühlswelt, auch wenn sie sich gerade einmal schrecklich darstellt, wird nicht niedergeknüppelt, sondern zugelassen, es wird mit den Bildern, Ängsten, Tränen, Schreien gearbeitet, die den Patienten da "hochkommen". Das funktioniert so gut, berichtet Wolfgang, dass in manchen Ländern psychiatrische Kliniken nach deutschem Vorbild gar nicht mehr existieren. Parallel dazu wächst das Verständnis der Bevölkerung: Einfach deshalb, weil sich die Prozesse von Schub und Normalität nicht hinter verschlossenen Türen abspielen, sondern zumindest ein Stückweit vor den Augen der Öffentlichkeit. Ein solches Netzwerk in kleinerem Rahmen bietet Wende Treppe auch in Wittlich an. In guten Tagen trifft sich die Gruppe zum sachlichen Austausch, hat bei Grillfesten, Ausflügen und Geburtstagsfeiern auch jede Menge Spaß miteinander. In schlechten Tagen fangen sich die Mitglieder gegenseitig auf, rufen an, stehen vor der Haustür, fragen nach, halten in den Armen, wachen am Bett. "Wir sind schließlich keine Monster"

"Ich kann da ganz schön nerven", lächelt Pütz. Die anderen nicken, betonen aber: "Genau das erweist sich jedoch als hilfreich." Und wenn jemand eine Zeitlang gar keinen Kontakt mehr haben möchte, wird das selbstverständlich respektiert. Den Kardinalfehler, psychisch Kranke nicht für voll zu nehmen, - "wir sind schließlich keine Monster" - macht hier keiner. Sie kennen merkwürdige Reaktionen von sich selbst, wissen, dass alles eine Ursache hat, die es zu ergründen gilt, und dass auf schlechte Zeiten immer gute folgen. Und sie haben Geduld. Bei "Wende Treppe" erfahren manche erstmals von Hilfestellungen außerhalb stationärer Einrichtungen: Ergotherapie, betreutem Wohnen, Tagesstätten, und vor allem: einem möglichen Rentenanspruch. Fachliteratur steht zur Verfügung. "Wende Treppe" beherbergt zwei Gruppen; die ältere ist zehn Jahre alt, die jüngere, offene, erst fünf Jahre. Letztere steht Interessenten offen. Kontaktaufnahme über Elisabeth Pütz, Telefon 0175/1827940.

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