Neuanfang mit nichts

TRABEN-TRARBACH. Viele Flüchtlinge und Heimatvertriebene kamen nach dem Krieg nach Traben-Trarbach. Eine bewegte Vergangenheit liegt auch hinter Marie Kraushaar, die vor genau 53 Jahren an die Mosel kam. 1939, als sie elf Jahre alt war, wurde sie mit den Eltern und der Schwester aus ihrer Heimat im Osten vertrieben.

Im galizischen Dorf Theodorshof in der Nähe von Lemberg kam Marie Kraushaar, geborene Eppler, zur Welt. Ihre Vorfahren waren einst aus der Pfalz in den bis 1919 zu Österreich und dann zu Polen gehörenden Landstrich, der 1939 von den Russen eingenommen wurde, ausgewandert. Zehn Tage war die Elfjährige mit dem Treck in ein Dorf im Warthegau unterwegs. Dort lebte und arbeitete die Familie seitdem, schaffte es jedoch nicht mehr, bis zum Kriegsende in den Westen zu kommen.Betteln kam nicht in Frage

Sechs harte Jahre mit schwerer Arbeit lagen noch vor den Epplers, bis sie dank der Bemühungen eines Onkels 1951 endlich in den Westen ausreisen durften. Im Lager Friedland erhielt die Familie einige Kleidungsstücke, ehe sie im März 1951 in Traben-Trarbach eintraf. Die Eltern und Marie mit der zehn Jahre älteren Schwester Ottilie wurden zunächst für einige Wochen im Hotel "Zum Anker" untergebracht. Danach bezogen sie eine kleine Wohnung unter dem Dach bei Kriemhild Gendebien in der Grabenstraße. "Wir besaßen nichts", erinnert sich Marie Kraushaar, "hatten nur Betten, einen Tisch und vier Stühle". Von der Stadt waren ihnen damals Adressen genannt worden, wo sie für Wäsche, Kleidung und Hausrat nachfragen sollten. "Aber wir wollten nicht betteln gehen, das haben wir nicht fertig gebracht", entrüstet sie sich noch heute. In der neuen Heimat an der Mosel blieb keine Zeit zum Müßiggang. "Wir mussten gleich arbeiten." Schwester Ottilie fand eine Anstellung im Haushalt des damaligen Bürgermeisters De Greiff, die 23-jährige Marie fuhr jeden Tag mit dem Bus nach Büchenbeuren, um dort auf dem Feld zu arbeiten. Eines Tages habe der Busfahrer gefragt "ei Mädchen, wo fährst du denn immer hin?", und sie erzählte ihm von der Arbeit auf dem Lande. Er versprach, ihr eine Stelle in der Stadt zu besorgen, damit die tägliche Fahrerei wegfallen konnte. Die junge Frau war froh, als sie in der Bäckerei Meurer (heute Pull) eine Anstellung bekam. Fleißig haben sie alle gearbeitet und sich so nach und nach wieder einen vollständigen Haushalt anschaffen können. 1952 erwischte die junge Marie Eppler Amors Pfeil im Kino in der "Germania", wo sie dem Traben-Trarbacher Günther Kraushaar begegnete. Im Dezember desselben Jahres heiratete das Paar und wohnte seitdem bei den Schwiegereltern in der Wildbadstraße, bis es später eine eigene Wohnung beziehen konnte."Hier siehste doch nichts"

"Der Anfang war schwierig in Traben-Trarbach", erinnert sich Marie Kraushaar. Doch die Menschen nahmen sie freundlich auf. Der Vater indes konnte sich nicht an die Mosellandschaft gewöhnen, "hier siehste doch nichts", habe er immer gesagt, denn in der galizischen Heimat gab es keine Berge. 1965 bezog das junge Ehepaar Kraushaar mit inzwischen drei Töchtern das eigene Haus im Wolfer Weg. Marie Kraushaar und ihr Ehemann haben keine Arbeit gescheut, alles angenommen und sich ihr Eigentum mit viel Fleiß erwirtschaftet. Schwere Schicksalsschläge hatte Marie Kraushaar in den vergangenen Jahren zu verkraften: Erst starb die Schwester, dann der Ehemann und viel zu jung eine Tochter. Dennoch hat sie sich nicht unterkriegen lassen und sich ihr sonniges Gemüt bewahrt. Auch jenseits der 70 ist Marie Kraushaar vielfältig aktiv in ihrer neuen Heimat und erfreut sich großer Beliebtheit.

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